Obwohl das Hotel in Frankfurt eher mittelmäßig ist, wertet das opulente Frühstück unseren Aufenthalt deutlich auf. So gestärkt, fahren wir rasch aus dieser, vielleicht nicht gerade hässlichsten Stadt der Ex-DDR, aber doch sicher einer der monotonsten und farblosesten, hinaus in Richtung Norden.
Unser erstes Ziel ist die „Zollbrücke“. Von dort soll man einen schönen Blick auf die Oder sowie die Flusslandschaft haben. Und wie immer, versuchen wir dazu möglichst nah am Fluss entlang zu fahren – was leider nicht immer möglich ist, denn der Oderdamm und die dazugehörigen Deichverteidigungsstraßen sind in der Regel den Radfahrern vorbehalten.
Auf dem Weg durchfahren wir Kienitz. Ein Ort, der uns ganz sicher ebenso wenig in Erinnerung geblieben wäre, wie viele andere, ähnliche Dörfer, stände da nicht plötzlich ein russischer T34 neben der Straße. Zumal er, nicht ganz korrekt in Tarnfarbe, aber ansonsten fein hergerichtet, auf einem etwas bröckeligen Betonpodest thront und die Anlage mit gepflegten Blumenkübeln verziert ist. Da muss man doch mal schauen, was der hier soll.
Es ist ein Denkmal aus den glorreichen Bruderzeiten mit der Sowjetunion zum Andenken daran, dass am 31. Januar 1945 Vorausabteilungen der Sowjetarmee die Oder überquerten und hier einen ersten Brückenkopf bildeten. Kienitz war damit (und das kann man genau so auf der Tafel des Denkmals nachlesen) „Erster vom Faschismus befreiter Ort auf unserem Staatsgebiet.“ Tja, Reisen bildet…
Schließlich erreichen wir am späten Vormittag unser Ziel. Mehr oder wohl eher weniger seligen Angedenkens an die bereits seit 1806 nicht mehr existente Brücke pilgern außer uns erstaunlich viele Menschen hier her, um an der seitdem verbliebenen Deichscharte festzustellen, dass die Landschaft platt und der Fluss träge ist, dass der gleichnamige Gasthof geschlossen hat und lediglich eine Imbissbude Kaffee, etwas Kuchen und vor allem Eis anbietet.
Interessanterweise gibt es hier am Ende der Welt, gleich hinter dem Gasthof ein Theater, das „Theater am Rand“. Und jetzt, wieder zu Hause, recherchiere ich, dass es moderne Interpretationen klassischer Stücke spielt und damit sogar guten Zuspruch findet, obwohl eben wirklich irgendwo im Nirgendwo gelegen. Skurril, aber schön!
Wir fahren wieder weiter, ein wenig im Zick-Zack durch den Oderbruch, kommen nach Hohensaaten, wo wir den Oder-Havel-Kanal queren, geraten auf dem Weg nach Gellmersdorf plötzlich auf alte schmale Kopfsteinpflasterstraßen und finden uns zur Mittagszeit in Schwedt wieder. Der Ort scheint, abgesehen von den üblichen Plattenbauten, recht annehmbar zu sein, da es Lokale am Flussufer gibt und das – zugegeben zunächst etwas monströs wirkende – Theater UBS (Uckermärkische Bühnen Schwedt) in seinem Umfeld doch auch wieder stimmig erscheint.
Hier queren wir zunächst die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße – einen Kanal zwischen der Stadt und der Oder – und dann den Fluss selbst. Wir sind in Polen. Und wenn wir gehofft hatten, hier mehr vom Fluss sehen zu können, müssen wir einsehen, dass auch in Polen der Wald die Straßen umschließt. Trotzdem: Es fährt sich gut und wir erreichen rasch die Stadt Gryfino.
Plötzlich empfiehlt mein Navi eine kürzere Route als Alternative zum direkten Weg nach Stettin, wir sollen ca. 20 Minuten einsparen können, und leider habe ich in diesem Moment vergessen, dass wir bei dem letzten derartigen Vorschlag eine Irrfahrt durch Mannheim gemacht hatten, die am Ende mehr Zeit und vor allem deutlich mehr Nerven gekostet hatte. Wir folgen also unbedacht der Alternativroute, biegen links ab, verlassen Gryfino und befinden uns umgehend zwischen Fluss und Kanal wieder auf einer Kopfsteinflasterstraße in Richtung Deutschland. Obwohl in der Mitte ordentlich einspurig gepflastert, besitzt sie an den Rändern ziemlich üble Ausweichstreifen aus Katzenköpfen. Beinahe romantisch. Nun, wir sind nicht unglücklich, dass die entgegenkommenden Autos uns die Mitte lassen und freiwillig auf die Holperstreifen ausweichen.
Über die B2 erreichen wir dann die Grenze zu Polen und sind kurze Zeit später mitten im Samstagabendverkehr von Stettin. Gut, dass das Navi weiß, wie wir hier durchkommen. Unser Orientierungssinn hat nämlich deutlich vor der fünften Ampel, auf Grund des andauernden Links- und Rechtsabbiegen, der manchmal halsbrecherischen Spurwechsel und dem ewigen Aufpassen, dass wir nicht durch irgendetwas oder irgendjemanden getrennt werden, vollständig seinen Dienst quittiert. Manchmal fühle ich mich an Barcelona im Feierabendverkehr erinnert…
Die Stadt ist groß. Größer, als wir gedacht hatten. Also müssen wir entscheiden, ob unser Weg nach rechts oder links führen wird. Die Entscheidung fällt für links, zum Gebäude der Philharmonie – einem futuristischen Bau, der an eine gläserne Kathedrale erinnern soll und nachts von innen in den polnischen Nationalfarben „glüht“ -, zum „Schloss der Pommerschen Herzöge in Stettin“ und zur Jakobskathedrale.
Im Schloss kommt gerade eine Hochzeitsgesellschaft an, die Hof und Gebäude offensichtlich als Feierstätte für sich reklamiert. Da wir Smoking und Abendkleid zu Hause gelassen haben, fühlen wir uns im Augenblick wenig berufen, uns unter die Gesellschaft zu mischen, um lediglich das Gebäude zu besichtigen.
Ganz anders in der Jakobskathedrale. Als katholische Kirche ist sie natürlich geöffnet und wir erfreuen uns an der Stille und dem schönen Interieur. Allerdings ist es kurz vor 18:00 Uhr und es rauschen bereits zahlreiche Akteure des gleich beginnenden Gottesdienstes in ihren dafür vorgesehenen weiten Gewändern durch die Gegend. Kerzen werden entzündet und das Mikrofon getestet. Als der falschen Glaubensfraktion zugehörig und der polnischen Sprache so gut wie nicht mächtig, entscheiden wir uns, schweren Herzens, das Gotteshaus zu verlassen.
Dann meldet sich auch schon der kleine Hunger und wir gehen auf die Suche nach einem passenden Lokal. Nur sind die alle proppenvoll. Beim Italiener, der einen phantastischen Eindruck macht, obwohl der Betonklotz in dem er residiert teils schon keine Fenster mehr hat und eher nach Einsturzgefahr aussieht, ist an Platzbekommen gar nicht zu denken. Es stehen bereits mehrere Paare an und warten. Und so geht es weiter. Ganz Stettin scheint am Samstagabend essen zu gehen. Nun, Geduld zahlt sich aus und weil wir inzwischen vom Laufen runde Füße haben, wissen wir den Platz auf der Terrasse des Pomiędzy Pizza Restaurant ganz besonders zu schätzen – was sich übrigens beim Bezahlen der Rechnung wiederholt (es war tatsächlich der Betrag für zwei Personen).
Zum Hotel zurück, spazieren wir noch durch den jetzt begehbaren Schlosshof (die Feiernden scheinen inzwischen im ersten Stock zu sein), vorbei an der Präfektur der Woiwodschaft Westpommern, die hier ihren Sitz hat. Dann beschließen wir den Abend bei einem Aperol auf der Terrasse des Hotels.