In der Lausitz

Am nächsten Morgen machen wir uns bei bestem Wetter und mit schmerzenden Rücken (die Matratzen des Hotels sind eher für Fakire geeignet, zwar ohne Nägel, dafür hart wie Stein) auf den Weg in die Tiefen der Oberlausitz – immer nach Osten, wobei die Landschaft nicht übermäßig abwechslungsreich ist: Weite Felder, ziemlich gerade Straßen, weithin flaches, grünes Land.

Irgendwo zwischen Bautzen und Niesky in der Lausitz

Unser erstes Ziel heißt Niesky. Die kleinste sächsische Stadt mit der Eigenschaft „Große Kreisstadt“ zu sein. Allerdings verweigert sie sich vollständig der Begutachtung, denn die Innenstadt ist wegen Bauarbeiten voll gesperrt und die eingerichtete Umleitung führt uns erbarmungslos durch schlichte Wohnsiedlungen am Stadtkern vorbei. Kaum sind wir in der Stadt, sind wir auch schon wieder draußen.

Horka: Alte und neue Bahnlinie

Danach kommt Horka der Ort, in dem eine unserer Freundinnen geboren wurde, Kindheit und Jugend verbrachte. Horka – obwohl eher Dorf, als Stadt – findet seine Bedeutung in der Bahn. Hier verläuft die wichtige Gütermagistrale Hoyerswerda-Horka-Węgliniec und der lokale Güterbahnhof dient als Grenzstation zu Polen. Man erkennt es unschwer an den supermodernen Gleis- und Abstellanlagen, die direkt über den alten Dorfbahnhof gebaut wurden.

Weiter geht es nach Osten, bis an die Neiße. Eigentlich hatten wir gehofft, ein paar Impressionen dieses Grenzflusses zu Polen mit nach Hause nehmen zu können und deshalb für unsere Route Straßen ausgewählt, die näher am Fluss nicht hätten sein können. Aber man sieht nichts. Dichte Wälder links und rechts der Straße – auch hier sind Kurven Mangelware – spenden bei diesem Wetter zwar angenehmen Schatten, machen aber unsere Hoffnung auf interessante Ausblicke zunichte.

Entlang der Neiße: Wald, Wald und nochmal Wald

Bei Pechern, einem der vielen Dörfer entlang der Bundesstraße biegen wir rechts ab zu einem Abstecher zum sog. Schlauchboothafen. Abzweige zu Einsatzstellen für Paddelboote gab es bereits zahlreich und nun sind wir doch mal neugierig. Der Weg führt in den alten Dorfkern mit Kirche (die aber, obwohl als touristisch wertvoll gekennzeichnet, verschlossen ist) in eine Sackgasse. Wir stehen einerseits vor einem Sperrschild und andererseits vor dem wegen der Schweinepest entlang der Neiße gezogenen Elektrozaun.

An der Neiße

Gerade, als wir umdrehen wollen, kommt aus dem gesperrten Weg ein Bulli mit Anhänger, auf dem sich etliche Schlauchboote befinden. Der Fahrer öffnet ohne zu zögern den Zaun und fährt hindurch, was uns dann doch noch die Möglichkeit bietet, an den Fluss zu kommen und wenigstens einen klitzekeinen Eindruck zu erhaschen.

Danach geht es wie vorher weiter und wir sind gespannt, was die nächste größere Stadt, Bad Muskau, zu bieten hat.

„Nett“, ist unser erster Eindruck: Alter Gebäudebestand, Straßengrün, gepflegtes Erscheinungsbild – aber für einen Abstecher in den Stadtkern reicht es dann doch nicht. Wir haben den Traum vom flussnahen Fahren eben immer noch nicht begraben.

Kurz darauf finden wir uns auf einer Fahrradstraße wieder und wundern uns, dass hier außer Velos und Anliegern – gemäß Beschilderung – niemand fahren darf. Auf den uns bekannten Fahrradstraßen dürfen sehr wohl alle Verkehrsteilnehmer fahren, nur eben langsam. Und da es hier keine Alternative außer der Bundesstraße gibt, fahren wir halt vorsichtig weiter…

Nur, außer einem wirklich flüchtigen Blick auf eine Flussaue, in der man den Neißeverlauf zumindest erahnen kann, bietet auch dieser Weg nur Wald, Wiesen und dazwischen sehr vereinzelte Häuser. Langsam macht sich Enttäuschung breit.

Auf dem Weg zur Stadtmitte von Forst

Dann Forst – auch nicht gerade dazu geeignet, unsere Stimmung zu verbessern. Vielleicht gibt es sehenswerte Ecken in der Stadt, aber die Planer haben viel daran gesetzt, dass man sie zwischen Plattenbauten umfährt. Wir landen direkt am Markt, runden diesen inklusive Kirche und suchen eine Gelegenheit zum Mittagessen. Aber es bietet sich nichts wirklich Attraktives. Auf die Dönerbude am Marktplatz steht uns nicht der Sinn. Also weiter.

Kurz darauf fällt uns in dem winzigen Flecken Naundorf ein Aufsteller an der Straße ins Auge: „Garten geöffnet, durchgehend warme Küche.“ Der erste Blick zeigt ein völlig unscheinbares Haus, „Fred Lehmanns Bauernschänke“, wie wir später erfahren, aber man darf sich da nicht täuschen lassen. Schon öfter haben wir in solchen Häusern gut essen können. Und genau das tun wir jetzt. Gemütlich im Garten, in aller Ruhe, bei einem Schwätzchen mit dem Wirt und vor allem mit besten Lausitzer Spezialitäten (wie z.B. „Tote Oma“: reichlich Grützwurst mit Bautz’ner Senf, Kartoffeln und Sauerkraut). Genau so haben wir uns das vorgestellt!

Für den Weg bekommen wir noch ein paar Touri-Tipps mit, u.a. den noch aktiven Tagebau Jänschwalde und die Mündung der Neiße in die Oder bei Ratzdorf. Jänschwalde ist riesig, ja, sieht aus, wie eine bewirtschaftete Mondlandschaft. Wir schauen eine Weile den weit entfernten Baggern zu, die in dieser riesigen Ödnis Schaufel für Schaufel Braunkohle wegkratzen und von unserem Aussichtspunkt wie Spielzeug aussehen, aber so wirklich viel zu sehen gibt’s dann doch nicht.

Der immer noch aktive Tagebau Jänschwalde

Also weiter zur Neißemündung. Wir parken auf einer Buswendeschleife und schauen – soweit es geht – auf die Flussmündung. Schön, aber ansonsten ist auch hier die Welt zu Ende. Es gibt ein Lokal, den Radwanderweg und sonst eigentlich nur grüne Flussufer. Nach einer kurzen, erholsamen Pause geht’s weiter nach Guben.

An der Mündung der Neiße in die Oder

Im Gegensatz zu Forst ist die Stadt ansprechender, sieht nicht so sozialistisch einheitlich aus – zumindest nicht im Kern -, hat ein paar schöne alte Häuser an durchweg gepflegten Straßen zu bieten, aber den ganz großen Renner scheinen wir auch hier nicht gefunden zu haben. Gibt’s den in dieser Gegend überhaupt?

Am Horizont taucht ein dunkles Ungetüm auf. Hochhäuser? Ein Industriewerk? Ach, es wird Eisenhüttenstadt sein und spätestens jetzt erklärt sich der Name. Hin? Einmal durchfahren? Nein! Irgendjemand hatte uns letztes Wochenende gesagt, Frankfurt/Oder sei die hässlichste Stadt der DDR gewesen, aber uns beschleicht gerade das Gefühl, genau jetzt an eben dieser vorbei zu fahren. Unser Bedarf an tristen Plattenbauten ist eigentlich für heute gedeckt.

Kurz darauf dann wirklich Frankfurt/Oder. Wir hatten zuvor über booking.com ein Zimmer in Bahnhofsnähe gebucht, weil dort der Parkplatz für unsere Maschinen kostenlos dabei war. Und nun stehen wir in diesem Upgrade-Zimmer, das immerhin 10 Euronen zusätzlich gekostet hat, damit es eine Sitzgelegenheit enthält, auf der wir nachts unsere Klamotten zum Auslüften lassen können, und stellen fest, dass dieses Upgrade aus zwei roten Kunstledersesseln und einem klapprigen Tischchen vor einer ziemlich gebraucht aussehenden Küchenzeile mit Kühlschrank, Herd, Spüle und allerlei fein darauf drapierten Putzutensilien besteht. Aber da der – im Grunde recht ordentliche – Schlafraum das Fenster zum Hof hat, können wir wenigstens unsere Maschinen parken sehen. Ein „schöner“ Auftakt für diese Stadt!

Oft trügt ja der erste Eindruck. Hier nicht. Ist der Weg vom Bahnhof in die Stadt auch noch gut erträglich (die Bauten stammen offensichtlich aus der Vor-Plattenbauzeit), ist die Innenstadt zwar ordentlich und gepflegt, aber tatsächlich erschreckend uniform. Was für ein Kontrast zu gestern in Bautzen!

Frankfurt/Oder: Das Lichtspielhaus der Jugend

Wir passieren das „Lichtspielhaus der Jugend“, in dem wohl schon seit Jahrzehnten kein Licht mehr spielt und dessen einstmals jugendliche Besucher entweder inzwischen unser Alter haben oder aus der Stadt geflüchtet sind, und geraten in den Stadtkern. Ein Plattenbau benachbart den nächsten, auf dem zentralen Platz in der Mitte des Ensembles nichts als ein riesiger öder Parkplatz. Der Oderturm wirbt mit einer phantastischen Aus- und Fernsicht – aber was sollte man da sehen außer plattem Land und evtl. wieder der Silhouette von Eisenhüttenstadt.

Stadtzentrum mit Oderturm

Vor uns geht ein junges Pärchen. Sie, unordentliche, knallrot gefärbte Haare (zumindest waren sie es wohl irgendwann einmal), allzu hautenge Jack-Daniels-Reklame-Leggings; er, schlurft mit offener Bierdose in der Hand daneben her. Wir neigen durchaus nicht zu Depressionen, aber das in dieser Umgebung…

Der Verzicht auf weitere, ausgedehntere Ausflüge in Betonwelten fällt nicht schwer. Suchen wir lieber nach einem Rest historischer Gebäude in dieser Wüste. Und wahrhaftig, wir finden die Europa-Universität Viadrina, die Marienkirche und das Rathaus quasi als Reliquien einer vielleicht nicht gerade besseren, aber auf jeden Fall vergangenen Zeit.

Portal der Viadrina

Viadrina sieht sich in der über 500 Jahre alten Tradition der Brandenburgischen Universität zu Frankfurt, an der immerhin die Brüder von Humboldt (Friedrich und Alexander) studiert haben, die allerdings 1811 geschlossen, mit der Leopoldina in Breslau zusammengelegt und erst 180 Jahre später – leider etwas schmalspurig – wiedergegründet wurde (soviel zu den besseren Zeiten). Sie residiert tatsächlich in einem schönen Gebäude.

Die leere Hälfte der Marienkirche

Gleich daneben die alte Marienkirche, deren Gestalt und Mächtigkeit uns an die gleichnamige Kirche in Greifswald erinnert. Und, obwohl evengelisch, ist sie geöffnet. Heute ist nämlich Tag des offenen Denkmals. Also gehen wir rein und finden… – irgendwie nichts. Die Hälfte des Kirchenschiffs ist leer, in der anderen stehen Stuhlreihen, wie im Konzertsaal. Einen Altar gibt es nicht, das Gebäude dient nur noch als sozio-kulturelles Zentrum. Schade.

Und schließlich das alte Rathaus aus dem 13. Jahrhundert. Prinzipiell schön, gleicht es doch mit seinen Ziergiebeln zahlreichen Bauten der Hansestädte an der Ostsee. Aber auch dieser Bau steht eben inzwischen an der falschen Stelle, eingezwängt von Plattenbauten. Sehr schade!

Nach einem guten Essen beim Griechen zwischen Uni und Kirche, verziehen wir uns in das Küchenséparée unseres Apartments und beschließen den Tag bei einem tschechischen Bier aus dem Getränkeautomaten des Hotels.

Unser 10 €-Upgrade…

Unsere nächste Station und gleichzeitig Wendepunkt der Kurzreise soll Neubrandenburg sein. Dieses Kleinod städtebaulicher Kunst wollen wir schon lange einmal besuchen. Aber es gibt keine Hotelzimmer mehr. Das einzige noch buchbare wäre ein Vierbettzimmer in einem Hostel mit Gemeinschaftsdusche und Gemeinschaftsklo – für 94 Euronen. Nein, da können gern andere logieren.

Alternative? Szczecin – und etwas leichter auszusprechen: Stettin. Das Radisson Blu liegt mitten in der Stadt, ist komfortabel (wir kennen die Hotelkette bereits aus Riga und Tallinn), bezahlbar und wird damit unser morgiges Ziel.

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