Zum Ende der Welt

Was passiert, wenn der Wecker seiner Zeit voraus und gleichzeitig zu spät dran ist? Man verschläft! Und genau das wäre uns heute morgen fast passiert. Das Handy, unser Reisewecker, war über Nacht bereits in Portugal angekommen, wo wir mit dem Schiff erst morgen sein sollen,  und damit in der Greenwich-Zeitzone, also eine Stunde hinter unserer Zeit. Wie gut, dass Nicoline gerade noch rechtzeitig wach geworden ist, auf ihrer altmodischen Armbanduhr den Fehler bemerkt und mich geweckt hat. Trotzdem heißt es jetzt,  sich zu sputen, denn der Bus zum „Ende der Welt“, zum Kap Finisterre, startet nach spanischer Zeit und wartet nicht.

Morgens in La Coruna

Kurz vor neun am Bus dann die Überraschung: Der Tourguide spricht außer Galizisch und Spanisch nur noch Englisch. Das war nirgends angekündigt und führt bei Passagieren,  die in der Schule Russisch als zweite Fremdsprache hatten, verständlicherweise zu Unmut – was natürlich nichts nützt. Wer ihn versteht, wird allerdings mit interessanten Informationen über Galizien, dessen keltische Kultur, deren kontinuierliche Übernahme durch den Katholizismus und schließlich über Santiago de Compostela, den Jakobsweg, sowie den Heiligen selbst, sein Leben und die Legenden, die sich darum herum gebildet haben recht gut versorgt. Unsere Aufmerksamkeitskurve verläuft heute relativ linear und nur leicht abfallend, was dem aufmerksamkeitsfordernden Zuhören des englischsprachigen Redeschwalls geschuldet sein mag.

Aber vielleicht liegt es – zumindest bei mir – auch daran, dass so manch Straße, Landschaft oder Ort ein deja-vue erzeugt; schließlich waren mein Freund Hendrik und ich 2010 hier schon einmal mit dem Motorrad unterwegs gewesen, um ans „Ende der Welt“ zu kommen. Wer den Reisebericht „Para Gibraltar“ liest oder gelesen hat, weiß allerdings, dass uns damals der Wettergott zürnte und wir vor lauter Regen und Nebel weder das Kap Finisterre, noch den dort ansässigen Leuchtturm zu Gesicht bekamen. Heute sieht es ganz anders aus. Nach anfänglichem Morgennebel klart der Himmel auf und es wird sonnig warm.

Bekanntermaßen haben die Götter vor den Erfolg den Schweiß platziert und diese Weisheit lässt sich sinngemäß leider auch auf die heutige Fahrt übertragen. Wir fahren nämlich zunächst nach Muxia (spricht sich Muschia mit betontem,  langen „i“), um das Sanctuario da Virxe da Barca, das Heiligtum der Jungfrau aus dem Boot, zu besuchen. OK, es ist eines der Beispiele für die Vereinnahmung heiliger keltischer Orte durch die katholische Kirche und die letzte Pilgerstation auf dem Jakobsweg zum Kap, aber von außen ist es eher schlicht, man kann es nicht besichtigen (immerhin gelingt mir ein Foto durch die vergitterte Absperrung) und Muxia ist ein langweiliges Fischernest. Wir vertreiben uns die Zeit mit dem Suchen eines Geocaches…

Sanctuario da Virxe da Barca
Das Innere der Kirche – abgesperrt mit einem Gitter…
Geocachesuchen – der muss doch hier irgendwo sein…

Dann auch noch 90 Minuten Mittagspause in Fisterre, dem letzten Ort vor dem Kap. Immerhin bieten die Lokale hier Garnelen und Tintenfisch ohne Ende zu erschwinglichen Preisen an und meine Riesenportion Pulpo auf galizische Art ist eine echte Leckerei – selbst, wenn die dazu gereichten Kartoffeln wieder mal in Olivenöl schwimmen. Ich muss sie ja nicht mitessen.

Fisterre, der letzte Ort vor dem Kap
Fin de Camino – das Ende des Jakobsweges – heute…
…und 2010.
Der Leuchtturm Kap Finisterre – Das Ende der Welt (zumindest damals)

Als letzte Station erreichen wir schließlich doch noch das Kap Finisterre. Und ja, es scheint die Sonne, blauer Himmel wird mit kleinen weißen Wolken garniert und die Aussicht ist phantastisch. So hatte ich es mir schon 2010 gewünscht! Ein leichter Wind würde heute sogar den Mief der Hüte und Unterwäsche verkokelnden Pilger verwehen, aber selbst am berühmten Kilometerstein „0.000“, dem absoluten Ende des Jakobsweges, sind keine zu sehen.

Kilometer 0,000 – das absolute Ende des Jakobsweges
Hier werden die Wanderschuhe nicht an den Nagel, sondern ans Kreuz gehängt
Wir klettern über die Felsen

Wir klettern hier und da über die Felsen, machen ausgiebig Fotos und stellen fest, dass der einzige Geocache weit unten im Fels liegt – für uns ohne Sicherungsgeschirr nicht erreichbar. Und ich? Ja, ich schwelge ein wenig in Erinnerungen an die Tour durch Spanien und Portugal mit dem Motorrad, kaufe noch schnell einen Aufkleber für meinen Koffer im heute tatsächlich geöffneten Kiosk – ich bin zwar nicht hierher gewandert, was mir meine Füße lebenslang danken werden, aber immerhin gefahren  – und verschwinde dann wieder mit dem Rest der Gruppe im Bus.

Heute hat der Kiosk geöffnet, um allerlei Kitsch anzubieten

Um 18:00 Uhr legt das Schiff aus La Coruña wieder ab. Ziel ist am Sonntag Lissabon. Abends findet noch eine große „White-Night-Poolparty“ statt, zu der ich nicht nur deshalb im Bademantel erscheine, weil er weiß ist, sondern weil selbst der mäßige Genuss diverser Alkoholika die nächtliche Kühle allein nicht vertreiben will.

White-Night-Poolparty

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

©2018 by benn-family / Präsentiert mit WordPress