Mont Saint Michel

5:35 Uhr – der Wecker tut gnadenlos das Einzige, was er kann: Er beendet unsere Nachtruhe auf brutale Weise. In gewisser Hinsicht passt das zwar zu unserem heutigen Ziel Le Havre, einer Stadt, die nach fast vollständiger Zerstörung im WW II vom Architekten Auguste Perret und seinen Mitstreitern als „Poesie aus Beton“ oder besser gesagt, im „Stil des Brutalismus“ aus schmucklos rechteckigen Wohn-, Geschäfts- oder Sakralbauten wieder aufgebaut wurde – aber ein Blick nach draußen zeigt, wir sind noch gar nicht da.

Das tröstet. Denn wenn der Kapitän, wie in der Branche üblich, sein Schiff höchstpersönlich im Hafen anlegen möchte, tut auch sein Wecker gerade das Einzige, was er kann.

6:00 Uhr. Das Buffetrestaurant „Ankelmannsplatz“ öffnet und wir sind tatsächlich die ersten, die es betreten. Weder wäre uns sowas jemals vorher passiert, noch erfüllt es uns mit Stolz. Um diese Uhrzeit erreichen uns dererlei Empfindungen einfach nicht. Allerdings gibt es am Buffet jetzt noch frisch zubereitete, nicht übergeschwabberte Baked Beans, unpappige Röstis, jungfräulich angerichtetes Rührei und wirklich warme, ordentlich aufgereihte Nürnberger Würstchen. Wir ändern das. Trotzdem bleiben die guten Geister der Crew freundlich und hilfsbereit als Nicoline beim Kaffeeautomaten das Rohr nicht findet, aus dem der Becher mit dem Ersehnten zu befüllen wäre – es gibt nur eines – und ich das Gerät für heißes Teewasser suche, obwohl daran ein A4-Zettel mit eben dieser Aufschrift angebracht ist.

Inzwischen hat sich das Restaurant mit einer kleinen Anzahl fröhlich plappernder,  ja zum Teil sogar lachender Mitreisender (wie geht das bloß um diese Zeit?) recht ordentlich gefüllt und ich schätze, dass wir eine ganze Reihe dieser morgendlichen Frohnaturen im Bus zum Mont Saint Michel wieder treffen werden.

7:30 Uhr. Der Bus Nummer 3 hat sich mit knapp 40 Personen gefüllt. Anne, unsere Reiseleiterin spricht gut Deutsch aber weil die französische Grammatik doch manches anders sieht als die deutsche, wird es eine amüsante Fahrt, bei der sich insbesondere zeigt, dass das Genus eines Wortes im Gegensatz zum Sexus eines Lebewesens, eine relativ beliebige Angelegenheit bezüglich dessen Zuordnung darstellt. Allerdings merken wir beide, dass unsere Aufmerksamkeitskurve, was ihre Erläuterungen zu Landschaft und Geschichte angeht, heute nicht logarithmisch sondern exponentiell gen Null abfällt. Morpheus ruft…

Nach knapp drei Stunden Fahrt haben wir schließlich den berühmten Felsen im Meer erreicht. Und ja, dieses Ensemble aus Natur und Architektur sollte man schon mal gesehen haben. Wirklich beeindruckend!

Mont Saint Michel – der erste Eindruck

Ein Shuttlebus bringt uns mit unzähligen anderen Touristen hin. Etwa 500 Stufen und unebenes Kopfsteinpflaster stehen uns bevor, um zur Abteikirche auf der Felsenspitze rauf und nachher wieder runter zu kommen. Und bei dem Tempo, das Anne vorlegt, fragen wir uns,  ob dies denn wirklich der richtige Ausflug für uns ist. Aber: „Wir schaffen das!“

Wenn man direkt davor steht, ist der Berg noch beeindruckender.

Auf der Grand Rue, der „Hauptstraße“ des Berges, fühlen wir uns wie in der Diagon Alley von Harry Potter – nur das Leaky Cauldron finden wir nicht. Schade.

Harry Potters Diagon Alley oder doch die Grand Rue?

Aber wir stiefeln wacker voran, immer bergauf bis zum Beginn der Treppen. Es sind tatsächlich viele – in der Tat – und die meisten sind hoch und ohne Geländer. Kein Wunder, dass den Mönchen nachgesagt wurde, sie wären mit zunehmendem Alter immer seltener im Dorf gesehen worden. Na ja, wie gesagt: Wir schaffen das.

Stufen, Stufen, Stufen…

Und werden oben belohnt, indem wir einen Augenblick dem gerade stattfindenden Gottesdienst zuschauen dürfen, bei dem ein kleiner Chor nahezu überirdische Klänge durch das altehrwürdige Mittelschiff der Kirche schweben lässt. Solche Momente entschädigen für jedwede Anstrengung.

Blick auf ein Seitenschiff der Kirche vom Kreuzgang

Danach geht’s auf den Rundgang durch die verschiedenen Räumlichkeiten: Zum Kreuzgang, mit schönen Ausblicken in die Weite der Landschaft einerseits und beeindruckenden Perspektiven auf die kirchlichen Seitenschiffe andererseits,

Der Speisesaal – schon wieder so ein Harry-Potter-Feeling…

ins Refektorium, den ehemaligen Speisesaal der Mönche, in dem sich wieder so ein Harry-Potter-deja-vue einschleicht und hinab zum Empfangssaal, in dem einst kirchliche, wie weltliche Würdenträger empfangen, bewirtet und bei Bedarf aufgewärmt wurden, denn hier ist ein ziemlich groß dimensionierter Kamin zu bewundern. Offenbar einer der wenigen Räume, die beheizt werden konnten.

Der Empfangssaal – hier konnte geheizt werden

Insgesamt ist es ein Refugium hier oben auf dem Thron des Berges, in dem man tatsächlich den Rest der Welt vergessen, sich ganz und gar der geistlichen Meditation verschreiben könnte – wären außer uns nicht noch weitere Legionen von Touristen mit uns.

Weiter geht’s zu einem ebenso überdimensionierten „Hamsterrad“, mit dem Mönche einen Aufzug betätigten und es geht die Sage, dass damit nicht nur Waren befördert, sondern einst auch Hugenotten, die das Kloster einnehmen wollten, einen der Mönche bestochen hatten, dann einzeln hinauf gezogen und oben sogleich von dessen Brüdern erstochen worden waren. Sie haben es nicht wieder gemacht.

Das „Hamsterrad“ zum Betätigen eines Schrägaufzuges für Lasten
Der „Ausstieg“ aus dem Aufzug mit Blick auf die Bretagne

Nun, irgendwann ist auch ein Rundgang beendet und nun geht es die andere Hälfte der 500 Stufen wieder runter. Das allerdings machen wir auf eigene Faust, schlendern noch über die Stadtmauer und beschließen dann doch rasch, die Örtlichkeit rasch wieder zu verlassen. Während unserer Besichtigungstour ist es nämlich auf dem Berg so voll geworden,  dass es keinen Spaß mehr macht, hier noch länger herumzulaufen.

Wir klettern wieder runter vom Berg – über die Stadtmauer

Also, ab in den Shuttle und zurück zum Bus. Dann wieder drei Stunden Fahrt, deren Abschluss durch die Überquerung der imposanten, „Harfe über die Seine“ genannten Brücke bei Le Havre ihren Höhepunkt erreicht.

Die Harfe über die Seine

Eigentlich sind wir nach dem Abendessen komplett hinüber. Aber auf dem Weg zur Kabine kommen wir am „Studio“ vorbei, in dem ein Trio (Sänger, Piano, Gitarre) Songs von Michael Bublé darbietet. Richtig gut! Fatalerweise treffen wir dort auf ein Paar, das wir bereits von den Vortagen kannten, gehen anschließend gemeinsam ins Theater zu Schlagern aus den 50er, 60er und 70ern (na ja), dann zu einer Lesung aus „Innenkabine mit Balkon“ (amüsant) und schließlich ins Bistro zu Currywurst mit Pommes. Jetzt ist es 0:30 Uhr. Die beiden sind nicht müde zu kriegen und ziehen noch weiter. Wir auch – ins Bett.

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