Heute ist Mittwoch und das Restaurant hat geöffnet! Also buchen wir noch eine Nacht und hoffen auf einen Platz dort heute Abend.
Nach dem Frühstück beginnt es allerdings im ganzen Haus äußerst intensiv nach sehr totem Fisch zu riechen und da der Geruch – wie wäre es anders zu erwarten – der Hotelküche entstammt, kommen uns erste Zweifel, ob das Vorhaben so richtig ist. Wirklich frischer Fisch riecht nämlich überhaupt nicht! Auch nicht bei der Verarbeitung. Also stellen wir die Platzreservierung erstmal zurück und machen uns auf den Weg zum Golf von Morbihan, einer der schönsten Regionen in der südlichen Bretagne.
Und ja, die Gegend ist tatsächlich schön, obwohl Ebbe herrscht und die Küste bei Flut wohl noch ein gutes Stück smarter wirken würde. Aber was soll’s, man kann ja nicht alles haben.
Wir befinden uns auf der Rue de l’Océan, der Küstenstraße in Kernevest, einem der zahlreichen Landzipfel, die in den Golf reichen, parken das Auto und schauen uns um.
Niedrige, bunte Büsche säumen den Küstenstreifen und den dazwischen hindurch führenden Wanderweg, bilden den Vordergrund für einen Blick über das Wasser, auf dem zahlreiche Segler ihr Vergnügen haben.
Weiter geht es, entlang des Küstenweges: Hier und da eine leuchtend gelbe Sandbucht zum Sonnen und Baden, vorbei an einem alten Fort, das in seinen mächtigen Mauern die hippe Schickeria-Bar des Club Nauique Oceane beherbergt und ein Stückchen weiter die Chapelle Saint Philibert.


In ihrem nahezu finsteren Inneren ist Maria mit LED-Hinterleuchtung ein wenig kitschig in Szene gesetzt, aber ein wunderschöner Altar unterm Sternenhimmel lädt zu besinnlicher Einkehr ein – unterstützt durch „andächtige“ Musik aus einem kontinuierlich dudelnden Lautsprecher.
Dann weiter nach Locmariaquer, Menhire anschauen, die in dieser Gegend so sprichwörtlich rumliegen, wie der Sand am Meer. Leider sind die größten von ihnen eingezäunt und ihre Bewunderung verlangt einen stattlichen Eintritt. Aber einerseits können wir bequem über die Einfriedung schauen und Tourihorden beobachten, die andächtig um einen großen, rund geschliffenen Felsen pilgern, der deutlich weniger nach Obelix‘ Handarbeit als vielmehr nach eiszeitlicher Hinterlassenschaft aussieht und andererseits liegen diese Dinger ja an jeder Ecke – wenn auch nicht ganz so groß.
Und wer die Kriminalromane von Jean-Luc Bannalec und dessen Kommissar George Dupin kennt, weiß, dass dessen Vorgesetzter nicht nur den Namen dieses Örtchens trägt, sondern auch, dass die Aussprache eben dieses Namens eines der vielen bretonischen Geheimnisse ist.


Das Örtchen selbst ist dagegen eine kleine Perle: Enge Gassen, in denen Stockrosen und allerlei andere Gewächse von der hoch stehenden Sonne verwöhnt werden, Restaurants mit prächtigem Ausblick über den Golf und eine kleine, zur Präsentation von – zugegeben, recht ansprechender – Kunst zweckentfremdete Kirche.
Uns wird es langsam zu heiß. Um die schattigen Plätze der Restaurants nutzen zu dürfen, müssten wir ein umfangreiches „Plat Du Jour“ verzehren und hätten nolens volens die Aussicht mitbezahlt, aber soviel Hunger haben wir gar nicht (außerdem: die Idee mit dem Sternerestaurant ist trotz des Geruchs noch nicht ganz vom Tisch).
Wir steigen also in unser gut aufgeheiztes Auto und fahren nach Vannes, der „Hauptstadt des Morbihan“, von der im Web allerlei reizvolle Fotos mittelalterlicher Gemäuer kursieren.

Und wieder haben wir ein deja-vue: Hatten wir in NRW die Idee, mit den Kindern auf der Nordhelle Schlitten zu fahren oder bei sommerlichem Wetter den Baldeneysee zu runden, trafen wir stets auf gefühlte 1,5 Mio. Andere mit derselben Idee.
Hier in Vannes sind es vielleicht nicht ganz so viele, aber es reicht, um keinen Platz im Restaurant haben zu möchten und im Pulk durch historisch wertvolle Stadttore, Gassen oder Plätze geschoben zu werden; vorbei an einstmals prunkvollen Gebäuden, die den leicht morbiden Charme mangelnder Pflege in keiner Weise zu verheimlichen suchen, und prächtigen, wohlgepflegten, aber für Touris abgesperrten Gärten.
Wir finden am Hafen, etwas abseits der Massen, eine Bar, mümmeln einen Salat, suchen anschließend in den Katakomben der Tiefgarage unter dem „Place de la République“ zunächst unser – diesmal herrlich kühles – Auto und dann das Weite.
Zurück im Hotel hat sich zwar der Fischgeruch verzogen, aber einen Platz im Sternerestaurant bekommen wir trotzdem nicht mehr: nous sommes complets.
Nachdem wir die Speisekarte im Netz gefunden haben, erfüllt uns die Absage nicht gerade mit Trauer; wären doch 110 Euronen für das komplette Menü fällig geworden und selbst die bis zur kulinarischen Unkenntlichkeit abgespeckte Variante für Geizige hätte noch mit 45 zu Buche geschlagen – natürlich pro Person und ohne Getränke.
Wir machen uns lieber auf den Weg zu einem als gut angepriesenen Lokal in der Nähe und lassen uns für weniger als die Hälfte der 110 Euronen ein feines Entrecôte für Nicoline und einen „Assiette du Pêcheur“, eine phantastische Auswahl von Austern, Venusmuscheln, Seeschnecken, diversen Shrimps und geräuchertem Lachs, für mich, schmecken – und das ganz ohne Geruch aber inclusive Vorspeise, einem richtigen Bier, leckerem Rosé-Wein und einem Espresso als Abschluss.
Und ja, ich gebe zu, noch nie Austern gegessen zu haben. Einfach, weil sich bislang keine Gelegenheit ergab. Und ebenfalls ja, sie haben mir geschmeckt. Aber dass ich jetzt ihr großer Fan geworden wäre, ist zu viel. Mit Abalone und Jakobsmuschel sind die ersten Plätze meiner Muschelhitliste bereits ganz klar belegt.