Unsere Reise beginnt entspannt. Nachdem uns – quasi als letzte der Mohikaner – vor gut einer Woche Corona erwischt hatte und wir, zu schlapp für drei Tage á 500km bei 30°C auf den Maschinen, den Urlaub um eben diese Woche verschoben und auf das Auto verlegt hatten, geht es heute morgen auf mit einem kleinen Umweg über Bayern nach Frankreich.
Wir sind bei Suse in Freising, haben uns gestern Abend wacker bei 35°C durch das Altstadtfest getrunken (nein, nein, nur Radler und alkoholfreies Bier) und die Enkel bespaßt, in der Nacht das unwetterartige Gewitter verschlafen und sitzen jetzt in einem Auto, in dem sich die Hitze der vergangenen Tage prima gehalten und die restlichen Gummibärchen von der Hinfahrt in ihrer Tüte zu einer farblich undefinierbaren Masse zerschmolzen hat – die machen jetzt weder Kinder noch Erwachs’ne froh.

Also erstmal alle Fenster und das Schiebedach öffnen. Dann geht’s los. Zumindest bis zum ersten Bremsen, bei dem, bergab stehend, der Rest des nächtlichen Regens den Weg vom Dach schwallartig in unseren Nacken findet. Morgendusche!
Die A8 nach Stuttgart ist langweilig und voll. Mein Frühstück möchte aussteigen aber die Raststätte wurde gerade passiert – und den hygienischen (wenn man ihn überhaupt so bezeichnen kann) Zustand des nächsten PWC möchte ich aus Rücksicht auf die geneigte Leserschaft hier lieber nicht beschreiben.
Eine Autobahnkirche wird annonciert. Bei Kirchen gibt’s auch WCs. Nix wie hin.
Der Gottesdienst ist gerade beendet, der Pfarrer entschwindet wehenden Gewandes in seinen Gemächern und ich stehe mit einer älteren Dame allein vor dem Gekreuzigten. Was ich denn hier möchte, werde ich gefragt – und antworte wahrheitsgemäß. Nun, ein WC gäbe es hier schon lange nicht mehr, der Brunnen sei kaputt und es fände sich niemand, der für die Reparatur zuständig wäre, wird mir erklärt. Natürlich ist das traurig und ich bemühe mich inständig, der guten Frau bei ihrer Schilderung der regelmäßigen Gottesdienste und der Beliebtheit dieser Kirche ruhig zuzuhören, aber mein Frühstück steht kurz vor der Explosion.
Irgendwie schaffe ich es dann doch zurück ins Auto und auf die A8 – wo die Rettung in Form der nächsten, wenngleich völlig überfüllten Raststätte – glücklicherweise rasch – naht.
Ein letztes Tanken in Deutschland (Frankreich ist teurer) und ab über den Rhein ins Land der Gallier.
Hier ist es vergleichsweise ruhig. Wenige Fahrzeuge, fast alle halten sich an das Tempolimit, die Landschaft eher unspektakulär, rollen wir, mit der Müdigkeit kämpfend, dem noch kurz zuvor via „Logis de France“ gebuchten Hotel entgegen.

Pünktlich um 19:15 Uhr sitzen wir im dortigen Restaurant, hungrig und durstig, gespannt, ob es uns heute so ergehen wird, wie vor 48 Jahren, als wir mit dem Fahrrad bereits schon einmal in Lothringen waren und ob einer für uns völlig unverständlichen Speisekarte etwas bestellten, das die Bedienung, wie auch die näher sitzenden Gäste zu amüsiertem Kopfschütteln veranlasste.
Nun, heute ist die Speisekarte zweisprachig und es ist ein Leichtes, Linguine mit Shrimps für Nicoline und für mich ein Faux Filet in Gorgonzolasoße zu bestellen. Der Ober erinnert dann aber doch sehr an damals. Er spricht ausschließlich Französisch, nuschelt und redet so schnell, dass ich keine Ahnung habe, was er meinen könnte. Da wir uns also gegenseitig nicht verstehen, was die Getränke angeht, ordere ich mehrfach insistierend die Wein- und die Bierkarte.
Und da ist es, das deja-vue: Mit der Weinkarte kommen wir ja noch zurecht – auch, wenn der Ober nicht begreift, dass Nicoline keine Flasche Wein möchte, sondern nur ein Glas und er dann doch die ganze Flasche bringt – aber mit über zehn Biersorten, ausschließlich im blumigsten Französisch beschrieben, bin ich dann doch wieder überfordert.

Ich ordere einfach „une grande Biére“, werde aber genötigt, auf eines der blumig beschriebenen zu zeigen – was ich brav mache – und worauf ich 0,33 ltr. Heidelbeerbier mit Wasser aus dem Mont-Blanc-Gletscher erhalte, dessen Schaum die Konsistenz festen Milchschaums auf einem Cappuccino glatt in den Schatten gestellt hätte und dessen intensiv blauviolette Farbe eher an ein fruchtig süßes Macaron als an ein Bier erinnert. Merkwürdigerweise hat es sogar ganz gut geschmeckt…
Danach beenden wir diesen Tag relativ rasch, müssen allerdings an der Rezeption beim Zahlen noch einmal darauf hinweisen, dass wir im Restaurant lediglich ein Glas Wein hatten und nicht die ganze Flasche.
Wir scheinen für französische Verhältnisse ziemlich aus dem Rahmen zu fallen…
Am nächsten Tag: Es reicht!
Über 500km Autobahn und fast 50 Euronen Maut sind genug. Auch landschaftlich reicht es, denn in dieser Hinsicht gab es bislang wenig bis gar keine Highlights, war es eher ein Kampf mit der Strecke.
Aber jetzt haben wir Orléans erreicht und fahren im Loiretal auf der Landstraße weiter, die „Schlösser der Loire“ bewundern.
Zunächst sehen wir zwar weder Fluss noch Schlösser, merken aber rasch, warum französische Autos so herrlich weich gefedert sind. Im Gegensatz zu den hervorragend gepflegten Autobahnen sehen die Landstraßen nämlich nur nett aus – angenehm zu befahren sind sie nicht. Und bei Vmax 80 has’te ’n Jefühl wie wenn’ze fliechst.

Das Gefühl, uns tritt ein Pferd haben wir dann im Hotel „Cheval Blanc“, einer Relaistation der Post von 1799, in der früher die Pferde gewechselt wurden wie heute bei Nio die Batterien. Es wird nämlich nicht kühl zur Nacht, eine Klimaanlage gibt es nicht, draußen verläuft eine vielbefahrene Straße und an erholsamen Schlaf ist damit trotz des guten Weines zum ebenso guten Essen gar nicht zu denken.

Müde rollen wir am nächsten Morgen wieder gen Loire, vorbei an Maisplantagen und leider schon ziemlich abgeblühten Sonnenblumenfeldern. Aber je näher die Loire kommt, desto häufiger werden die Weingüter mit ihren zum Teil imposanten Haupthäusern und den massiven Steinmauern zur Abgrenzung der ausgedehnten Hauslagen. Nur, wo sind die Schlösser?

Saumur ist dann richtig schön anzusehen. Ein historisches Häuserensemble entlang der Loire und die dazu passende Brücke ergeben ein tolles Panorama. Hier vertreten wir uns gern die Füße!

Das ist es dann aber auch. Die sich anschließende „Route Panoramique“ ist alles andere als „panoramique“. Entweder fahren wir durch winzige Dörfer, entlang abgeernteter Felder zwischen dichten Knicks oder dürfen ganz selten mal ein paar weite Ausblicke ins gelb-bräunliche Nichts des Loiretales „genießen“. Weit und breit kein Schloss!
50 Kilometer vor Nantes reicht es wieder. Das Navi darf die Planung via Autobahn durchführen und unsere Reisegeschwindigkeit steigt deutlich. Schlösser hin, Schlösser her! Wir freuen uns auf das zum Hotel gehörige Sternerestaurant!
Dummerweise hat eben dieses von Sonntag bis Dienstag geschlossen – heute ist (!) Dienstag. Also wieder ins Auto gesetzt und nach Port Blanc gefahren, zum „Le Baden-Roc“, einer Empfehlung des Hotels mit schöner Terrasse und Aussicht über den Hafen.
Aber hier beschleicht uns wieder das Gefühl, Frankreich immer noch nicht richtig verinnerlicht zu haben: Küsschen links und Küsschen rechts, man isst Austern, trinkt Prosecco. Da fallen wir zwei Alten mit Burger, Pizza und alkoholfreiem Mojito wieder mal irgendwie aus dem Rahmen…