Scotland the Brave

Der Kapitän flieht aus Belfast – nein, nicht weil es ihm dort ebenso wenig gefallen hat, wie uns (zumindest wissen wir es nicht). Es ist das Wetter, das ihm zu denken gibt. Für die Nacht sind 9, für den Morgen sogar bis zu 10 Windstärken angesagt und da möchte er so rasch, wie möglich über die Irische See zum nächsten Hafen fahren.

Der heißt Greenock, liegt wieder in Schottland und bietet an Sehenswertem: Nichts. Aber er ist ein relativ guter Ausgangspunkt, um nach Glasgow, Schottlands größter Stadt, oder nach Edinburgh, Schottlands Hauptstadt, zu fahren.

Wir haben uns für letzteres entschieden, auch wenn es eine Busfahrt von vier Stunden beinhaltet, zwei hin und zwei retour. In Edinburgh selbst wollen wir dann auf eigene Faust losziehen, und mit guten Tipps eines Freundes ausgestattet, Sehenswertes erkunden.

Um 7:30 Uhr geht es los. Es regnet und stürmt wie blöde. Der Bus schüttelt sich während der Autobahnfahrt und wird immer mal wieder von harten Böen erfasst. Toll! Echt tolles Ausflugswetter!

Edinburgh. Der Regen hat aufgehört, aber der Sturm ist heftig. Unsere Basecaps sind rasch im Rucksack verstaut, sonst wären sie weg geflogen. Wir drängeln uns mit tausenden anderer Touristen über die North Bridge, biegen in die High Street, die Royal Mile ein, quälen uns bis zum Castle hinauf – und stehen vor rot-weißem Flatterband. „No entry because of the wind.“, werde ich von der Wache beschieden, „Come back at 1 o’clock. Then we will see.“ Na, das fängt ja gut an.

The Royal Mile

Also wieder zurück. Dann wollen wir wenigstens zum Palace of Holyroodhouse, dem Palast am anderen Ende der Royal Mile, in dem die Queen zu nächtigen pflegt, wenn sie mal hier ist. Genau das wollen die frustrierten anderen natürlich auch und so schieben wir uns jetzt bergab in ähnlichem Schleichtempo, wie zuvor bergauf.

Scottish Beer

Ziemlich in der Mitte der Strecke treffen wir den kleinen Hunger und finden tatsächlich einen Pub mit moderaten Preisen und einem sehr regionalen Publikum – einer sogar im Kilt, wahrscheinlich ein Tourianimateur in der Mittagspause. Da fast alle Tische voll besetzt sind, kann das Essen so schlecht nicht sein. Wir bleiben, bestellen Fish&Chips mit einem ordentlichen schottischen Bier und fühlen uns plötzlich richtig wohl in dieser Stadt.

Danach streben wir zum Palast, der übrigens genau gegenüber vom Landesparlament liegt. Oder besser gesagt, es ist wieder eine der schottischen Schrulligkeiten, dass man das relativ neue Parlamentsgebäude genau gegenüber vom königlichen Palast gebaut hat und es damit zwangsweise im Blickfeld Queen liegt, wenn sie hier aus dem Fenster schauen sollte. Nun, heute wird hier lautstark demonstriert und es wimmelt nur so von schottischen Fahnen.

At the Parliament

Ich frage einen der Demonstranten, worum es geht. Er erklärt mir, dass die Konservativen im Unterhaus einen Antrag eingebracht hätten, wonach das schottische Landesparlament aufgelöst werden soll und das ginge ja nun gar nicht! Die Logik ist klar: England will den Brexit, Schottland nicht. Geht England aus der EU, ist ein neues Unabhängigkeitsreferendum in Schottland absehbar. Und wo kein Parlament, da auch kein Referendum. So einfach kann die Welt sein, wenn man in England Konservativer ist.

Wir sparen uns den Besuch des Holyroodhauses, denn in der Schlange vor dem Schalter für die Eintrittskarten treffen wir all diejenigen, die uns während des Mittagessens quasi überholt hatten. Dann lieber in die Calton Road und rechts hinauf über den alten, offenbar aufgelassenen Friedhof zur Regent Road. Es ist ein wunderbar morbides Gelände mit einem kleinen Turm von dem herab früher beobachtet wurde, ob sich  Grabschänder ans Werk machten. Und es ist ein Ort ungewohnter Stille. Hierher verirren sich nur ganz ganz wenige. Wir!

Auf dem Friedhof

Oben angekommen, schlendern wir in Richtung Princess Street, der hiesigen Einkaufsmeile und stellen wieder einmal fest, dass auch in dieser Stadt der Geschäftemix weitgehend dem inzwischen europaweiten Einheitsbrei aus großen Handels- und Fast-Food-Ketten entspricht. Mit zumindest aber einer Ausnahme: Jenners. Klar, es ist nur ein Kaufhaus, wenn auch aus der Klasse des KaDeWe in Berlin, des Alsterhauses in Hamburg oder des Oberpollinger in München, aber der große Freiraum in der Mitte mit seinen, die Stockwerke stützenden Karyatiden und der schönen Glaskuppel erinnern uns an das Lafayette in Paris. Nicht so groß, nicht so gewaltig, aber schön. Ein wenig sparsamer halt. Wir sind ja auch in Schottland.

Princess Road

Zum Castle hinauf gehen wir nicht noch einmal, denn inzwischen sind auch unten in der Stadt zahlreiche Sehenswürdigkeiten wegen des immer noch tobenden Sturmes mit Schlössern verhängt. Also zu Starbucks, schnell noch einen Espresso und einen Cappuccino trinken, bevor es mit dem Bus die zwei Stunden wieder zurück gehen soll – und noch einen Abstecher zum WC machen.

Das Einlass-System gleicht dem bei uns von SaniFair bekannten – nur, dass es ausschließlich mit Penny-Münzen funktioniert. Jetzt ist die Not groß, denn bislang konnten wir überall und alles mit Plastikgeld bezahlen. Hier nicht! Einer der Wartenden empfiehlt uns die Wechselstube gleich um die Ecke, aber will ich wirklich 10 oder 20 Euro tauschen, nur um sicherheitshalber noch einmal…?

Nun, es kommt very British: Ich habe mein Sprüchlein von dem Automaten, der nur Penny-Stücke nimmt noch gar nicht zu Ende aufgesagt, da fordert mich die Mitarbeiterin der Wechselstube sehr höflich auf, ihr bitte einen (!) Euro zu geben. Anschließend bekomme ich wie selbstverständlich 85 Pence in automatengerechter Stückelung. Ob das in Deutschland auch so freundlich und so einfach gewesen wäre…?

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