Niederfinow, Potsdam & Reiseende

6:00 Uhr, der Wecker tut, was er soll: uns wecken. Und nein, wir haben nicht vergessen, ihn umzustellen; wir müssen tatsächlich auch heute wieder früh hoch: Für 8:00 Uhr ist die Passage des Schiffshebewerks in Niederfinow angesagt – wer will das schon verpassen?

Entgegenkommer auf dem Weg nach Niederfinow

Also, frühstücken, mit der Kamera bewaffnen und – warten, warten, warten. Wir schleichen dahin bis es kurz vor 9 Uhr geworden ist. Dann ist es endlich soweit – obwohl, wieder hätten wir gut 30 Minuten länger schlafen können. Dumm gelaufen.

Der Kapitän steuert auf das Hebewerk zu
Die Einfahrt in den Trog ist frei

Wir dürfen in den bereitstehenden Trog einfahren. Dazu ist das Oberdeck gesperrt, weil Kathi mal grade so eben unter der hochgezogenen Bottichwand des Hebewerks durchpasst. Und auch sonst ist alles knapp. Zentimeterweise werden wir durch Fieren der Vor- und Holen der Achterspring nach vorne geschoben, bis der Einweiser sein Zeichen zum Festmachen gibt. Der Bottich schließt sich, es geht wie im Fahrstuhl in knapp fünf Minuten 36 Meter aufwärts. Selbst, wenn man das Spektakel bereits mehrfach von außen beobachtet hat, dabei sein, mitten drin sein, ist doch noch was anderes!

Mittendrin
Nach ca. 5 Minuten: Oben angekommen

Oben geht es wie gewohnt weiter, zum Anleger in Eberswalde. Dabei durchqueren wir die Schorfheide, von der unsere Reiseleiterin sagt, man könne jetzt gern den verpassten Morgenschlaf nachholen, es gäbe hier eh nichts zu sehen.

In Eberswalde verzichten wir auf den Ausflug, der uns zum Kloster Chorin und noch einmal nach Niederfinow geführt hätte, bleiben nahezu allein an Bord und lassen Reise, wie auch Reisende bei einem Aperol genüsslich Revue passieren:

Auf der Reise haben wir einfach das an Langeweile grenzende Nichtstun genossen, ebenso wie die meist gut geführten, interessanten Ausflüge: Stralsund, diese schöne alte Hansestadt mit ihrem geradezu skandinavischen Flair, Stettin, das sich langsam, ganz langsam von seiner deutschen Vergangenheit emanzipiert und heute, zum Abschluss, schließlich noch Potsdam, dieses geschichtsbeladene Berliner Anhängsel.

Schloss Cecilienhof

Hier nehmen wir auch wieder an einer Führung teil, lernen Cecilienhof, den Schauplatz der Potsdamer Konferenz kennen und Sanssouci, die langjährige Residenz der verschiedenen Hohenzollern.

Schlossvorplatz

 

Schloss Sanssouci
Der Schlosspark

Wir erfahren, dass Königs sich nicht nur mit profanem Materiellem beschenken lassen,  sondern auch schon mal mit einem Chor – einem Kosakenchor, weil man den so gern hört – für dessen Sänger dann Häuser gebaut werden, sie ein potsdamer Mädchen, eine Kuh und ein paar Schafe erhalten, um versorgt zu sein. So macht man sowas! Integrationsproblem gelöst!

Ja ja, es gibt tatsächlich immer noch etwas zu entdecken – selbst, wenn man bereits in der Stadt gewesen war – und wir waren bereits in allen dreien.

Na ja und die Reisenden? Hier findet sich ein interessanter, teils auch skurriler Mix unterschiedlichster Charaktere, denen man bei nur 80 Passagieren auf dem lediglich 100 Meter langen Schiff einfach nicht entkommen kann.

Man kann niemandem entkommen…

Da wären zum Beispiel die beiden Brüder, deutlich über 80, von denen einer in den 60er Jahren Transatlantikregatten segelte, der andere zur gleichen Zeit Goldwingtouren durch Nordamerika führte („Und in San Francisco, grad an der Endstation vom Cable Car hab ich sie gelegt. Da konnten dann alle mal zugucken, wie man so ein Schlachtschiff wieder aufrichtet – ha, ha, ha“). Sie teilen sich eine Kabine und nörgeln genüsslich aneinander herum.

Dann das alte Paar aus dem Erzgebirge, dessen nuschelnde Sprachverwurschtelungen uns selbst nach fast 30 Jahren Sachsen immer wieder Rätsel aufgeben und bei dem ihre ausgehangenen Ohrläppchen darauf schließen lassen, dass die mächtigen, goldenen Creolen selbst unter Inrechnungstellung altersbedingter Bindegewebsschwäche wohl doch echt sind.

Es gibt den Kettenraucher, der an seinem Stammplatz, dem Steuerbordaufgang zum Sonnendeck, pro Tag mindestens zwei Packungen Zigaretten in Asche und blauen Dunst verwandelt. Ob er sechs absolut identische rotkarierte Hemden oder lediglich genau eins besitzt, wissen wir natürlich nicht, aber bei dem ihn konstant umspielenden kalten Aschegeruch werden wir es auch nicht heraus bekommen.

Und schließlich der eitle Angeber, der nervt und damit prahlt, er habe Handwerker erfolgreich im Preis gedrückt, um seine Auffahrt gepflastert zu bekommen („36.000 wollten sie haben, als ich ihnen 10 gab, ging’s auch“). Immer mal wieder kommt er, um an meiner Lumix herumzunörgeln, wieso ich denn kein Zeiß-Objektiv montiert hätte – und selbstredend zeigt er mir unaufgefordert seins.

Komplettiert wird dieses Ensemble durch eine Truppe „Weltenbummler“, die sich angeregt darüber aufregt, dass heute jeder Ein-Personen-Haushalt eine 4-Raum-Wohnung mieten kann („das war damals anders bei uns, ja, ja…“) und zwei norddeutsche Spaßbremsen, die es verstehen, auch den kleinsten Gesprächsversuch ins Nirwana laufen zu lassen.

Na ja, und durch uns.

Wir versuchen uns mehr oder weniger (un-)harmonisch mit unseren Macken, Schrullen und Lästereien in dieses illustre Publikum einzuordnen, kommen mit deren Heimatschwerpunkt irgendwo in den östlichen Bundesländern eigentlich schon ganz gut mit, haben aber zum Erreichen ihres Altersdurchnitts noch mindestens (!) fünf bis 10 Jahre vor uns liegen.

Sowas muss man mögen.

Ob wir das tun? Na ja, mit etwas Toleranz ertragen wir es, gewöhnen uns sogar ein klein Wenig daran, schreiben uns mit den Stories unsere ketzerischen Gedanken aus dem Kopf. Und ich freue mich, dass mein Rücken, der uns ja schon letztes Jahr um den Urlaub gebracht hatte, sich insgesamt doch recht ordentlich verhalten hat – um es mal mit einem bekannten Liedermacher zu sagen:

An guten Tagen, war alles wunderschön;
ich brauchte Ibu nicht, kein Voltaren
und konnt‘ doch aufrecht geh’n…

Na ja, und die weniger guten Tage erledigte wieder mal das Getränkepaket – mit dem halt manches erträglicher wird, auch, wenn es diesmal keinen Rudi gab.

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