Von Wolgast nach Stettin

Was passiert, wenn pommersche Herzöge ihrer Stadt zu dicht auf die  Pelle rücken, ihr zu sehr das eigene Wollen,  die eigenen Regularien verordnen? Man wird im Konzert der mächtigen, unabhängigen Hansestädte nicht recht für voll genommen, bleibt bedeutungslos. So geschehen mit Wolgast! Heute eine lärmend durch die Bundesstraße 111 durchschnittene Kleinstadt, deren Bauten und Plätze im Vergleich mit den benachbarten städtischen Perlen den Eindruck hinterlässt, hier müsse historisch etwas schief gelaufen sein.

Na schön, Fehlentwicklungen gibt’s überall. Und da wir nunmal hier sind, die Sonne scheint und uns auch noch die Tempotaschentücher ausgegangen sind, braucht’s kaum mehr Gründe, um in die Stadt zu gehen.

Klappbrücke über die Peene

Auf der Peenebrücke kommen uns bereits zwei Tischnachbarn entgegen: „Passt bloß auf! Der Fußweg besteht aus Katzenköpfen und ist so schmal, man hat das Gefühl, die Autos fahren einem den A**** ab.“ Recht haben sie. Angekommen bei Rossmanns Drogerieparadies ist unser Allerwertester zwar knapp noch dran, aber wir sind temporär hörgeschädigt und die Nerven liegen blank.

St. Nikolai

Dann rüber zur Kirche. Die ist ein ziemlich klobiger Backsteinbau, evangelisch und damit traditionsgemäß geschlossen. Als ich eine junge Frau, die gerade eine Seitentür aufschließt, frage, ob und wann die Kirche geöffnet wird, wehrt sie entsetzt ab: „Ich darf das nicht!“ und verschwindet im Kirchenklo.

OK, tatsächlich zieht sie die gerade aufgeschlossene Tür zu besagter Lokalität rasch hinter sich zu und ward nicht mehr gesehen. Alles andere wäre ja auch das Highlight des Morgens gewesen…

Die Ortsmitte – der Marktplatz von Wolgast

Nun, Kirchen liegen – wie Bahnhöfe – immer mitten im Ort. Also sind wir genau dort angekommen: Ein Rathaus, eine Apotheke,  eine Bäckerei, ein Café und allerlei leere Geschäfte – selbst das Schulgebäude ist verlassen. Jetzt wissen wir, wieso uns die Tischnachbarn bereits so früh entgegen kamen.

Mittag. Kathi legt ab, Ziel Stettin. Zunächst geht’s über das Achterwasser, also „Usedom von hinten“, was von Land gesehen irgendwie interessanter ist,  weil man sich dann an den kleinen, ruhigen Plätzen befindet, die dem inseleigenen Bädertrubel weit entrückt sind – und die jetzt, kaum sichtbar, einfach ziemlich entfernt vorüber ziehen.

Die Reste der Hubbrücke

Kurz darauf, quasi am Ende von Usedom, passieren wir die 1933 erbaute und bereits 1945 wieder zerstörte Hubbrücke bei Karnin. Ihr stark angerosteter Rest steht mit hochgezogenem Mittelteil seit damals im Wasser und dient heute nur noch als beliebtes Fotomotiv. So mancher Politiker wollte die Bahnlinie Wolgast/Swinemünde/Ducherow mit Anschluss nach Stettin  (und damit auch die Brücke) reanimieren, keinem ist es bislang geglückt.

Der Lotse kommt an Boerd

Wir nehmen kurz danach den polnischen Lotsen an Bord – sprich, wir haben Deutschland verlassen, ohne es zu bemerken. Bemerkenswert, denn für die Älteren unter uns war das ja beileibe nicht immer so – egal, ob aus Ost oder West.

Um 18:00 Uhr sind wir „exclusiv, nur für Nicko-Clubmitglieder“ in den Salon geladen und fühlen uns natürlich extrem gebauchmietzelt. Nun wäre das alles nicht weiter erwähnenswert, hätte sich bei dem Event nicht herausgestellt, dass sowohl dem Hotelmanager, als auch der Reiseleiterin „Rudi von der Heidelberg“ wohl bekannt waren: „Der braucht Guideline, sonst macht der nix. Unser Bordmusiker ist besser.“ Mag ja sein, aber da er krank ist und gar nicht mitfährt, kann uns das eigentlich egal sein.

Stettin

In der Abenddämmerung erreichen wir schließlich Stettin und der Hotelmanager gibt Order, die Kabinen des Oberdecks mit den ungeraden Nummern (die liegen auf Steuerbord), mögen bitte ihre Fenster in der Nacht geschlossen halten, um keine ungebetenen Gäste anzulocken. Als der Käpt’n dann allerdings mit der Backbordseite anlegt, fragen wir uns, ob mit Piraten von der Wasserseite zu rechnen sei. Tja, auch Kriminelle haben eine Berufsehre zu verteidigen: Von Land war früher, zu einfach, jetzt kommen wir vom Wasser, können wir auch.

Na egal, unsere Fenster lassen sich ja eh nicht öffnen und wir blicken mal wieder auf die Kaimauer. Gute Nacht Stettin, gute Nacht Kathi – und überhaupt.

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