Stettin – Szczecin

Es sind nachts keine Piraten gekommen und auch sonst war alles sehr friedlich. Nur, dass wir um 6:00 Uhr aufstehen müssen, um am Ausflug in die Stadt teilnehmen zu können, hätte nicht unbedingt sein müssen. Aber gut: Aufwachen, hoch, fertig machen, Frühstück. Und? Die Tür zum Restaurant ist noch geschlossen. Wir sind eine halbe Stunde zu früh dran. Ärgerlich, die 30 Minuten hätte man länger schlafen können…

Kurz nach 8:00 Uhr kommt der Bus mit dem Fremdenführer. Bogdan, ein pensionierter Lehrer, der ausgezeichnet Deutsch spricht und es konsequent vermeidet, uns mit historischen Daten und Fakten vollzustopfen. Gut, etwas muss schon sein, sonst hätte er ja gar nichts zu erzählen, aber wie sagt er mehrfach: Das Touristengehirn „ist nicht flexibel genug“, um all diese Dinge aufzunehmen und zu behalten. Es nickt dann ein. Wie recht er doch hat!

Residenz der Wojewodschaft Hinterpommern

Zunächst fahren wir zur Residenz der Wojewodschaft Hinterpommern, deren Hauptstadt Stettin ist (Polen ist in 16 Wojewodschaften gegliedert – analog zu unseren Bundesländern), und die, auf einer Anhöhe über der Oder gelegen, gemeinsam mit dem Nationalmuseum und der Maritimen Universität ein imposantes Gebäuseensemble abgibt.

Weiter geht es durch diverse Straßen, deren alte deutsche Namen unser Guide stets parat hat, ebenso, wie er zu jedem öffentlichen Gebäude dessen meist zahlreiche Verwendungszwecke aus den Zeiten vor und nach 1945, sowie vor und nach der politischen Wende zu nennen weiß. Da wirkt das markante Gebäude am Ende einer der städtischen Hauptachsen fast langweilig. Einst erbaut für die Verwaltung Pommerns, später von der NSDAP für die Verwaltung der polnischen Provinzen genutzt, ist es heute Sitz der Stadtverwaltung. Es beherbergte also schon immer eine Verwaltung, war schon immer grün und hieß schon immer „Spinatpalast“.

Der „Spinatpalast“

Nun, selbst wer sich keine Details merkt, wird auf diese Weise Teil einer Reise durch Stettins deutsch-polnische Geschichte. Dazu würzt Bogdan seine Kenntnisse mit zahlreichen, höchst amüsanten Anekdoten. Man merkt, er spricht nicht nur gut Deutsch, er kann auch in Deutsch denken!

Figur in der St. Jakobilirche

In der St. Jakobikirche wird es etwas politisch. Vor einem Seitenaltar doziert der Herr Ex-Lehrer über das gespaltene Verhältnis der Polen zu den Ukrainern, ist andererseits aber stolzerfüllt von der polnischen Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge. Und mit leicht distanzierendem Unterton berichtet er, dass Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Stettin zwar einen Gottesdienst vor über 50.000 Leuten zelebrierte, die Führungselite der Kirche aber hier in diesem Gemäuer eine Extrawurst in Form einer exclusiven, separaten Messe erhalten habe. Man merkt, dass es ihn immer noch ärgert.

„Tat der Polen“ – drei Adler schwingen sich auf

Na ja, nach etwa vier Stunden Rundfahrt und inzwischen deutlich über 30 Grad im Schatten, hat die „Fexibilität“ unseres Touristenhirns ihre Maximalausdehnung bereits deutlich überschritten. Ein inzwischen überfälliges Eis beim Denkmal „Tat der Polen“, welches durch drei sich aufschwingende Adler drei Generationen von Stettinern symbolisieren soll, die sich am Wiederaufbau der Stadt beteiligt haben, dann ist unsere Rundfahrt zu ende. Bogdan bekommt ein kleines Trinkgeld und wir sind froh, wieder an Bord zu sein.

Nachmittags auf der West-Oder

Den Nachmittag verbringen wir auf der sog. West-Oder, einem kanalartigen Wasserweg, weil die landschaftlich schönere Ost-Oder nur noch 90 cm Wassertiefe aufweist – was ja selbst für Kathi mit ihren 1,20 m nicht reicht. Aber wir wollen mal nicht meckern. Auch hier ist es durchaus sehenswert, denn die Ufer sind im Vergleich zu hoch kommerziell genutzten Kanälen, wie dem Mittelland- oder dem Elbe-Seiten-Kanal, nahezu urtümlich geblieben.

Brückendurchfahrt

So genießen wir bei Cappuccino und Nachmittagstorte auf dem Sonnendeck die zahlreichen Brückendurchfahrten, zu denen der Kapitän sein Steuerhäuschen jeweils ganz oder zumindest zum Teil unter Deck verschwinden lässt und wir von der Crew zum Hinsetzen aufgefordert werden. Mehr als 10 bis 20 cm Platz ist da zwischen Brücke und Kopf oftmals nicht…

Sitzen bleiben, Kopf einziehen
Schleuse Hohensaaten in den Oder-Havel-Kanal

Abends bleibt Kathi am Dalben. Bei Hohensaaten gibt’s keine Anleger. Damit entfällt zwar der Landgang, aber dafür erleben wir einen schönen Sonnenuntergang beim obligatorischen Aperol. Ist doch auch was!

Sonnenuntergang bei Hohensaaten

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