Esztergom und Budapest

Ich öffne meine Augen. In der Kabine ist es hell. Wieder eine der zahlreichen Schleusen? Nein, wir sind in Ungarn und die Sonne scheint! Zum ersten Mal seit Tagen. Was für ein versöhnlicher Morgen! Die eingekachelte, unser stilles Örtchen bewachende Jugendstilmaid scheint zu lächeln und selbst das entsetzliche Röhren des Unterdrucksystems dieser Location klingt heute weniger bedrohlich. Rudi schläft noch und unsere vier Mitfrühstücker haben die gleiche gute Laune wie wir. Ach, das Leben kann so schön sein!

Esztergom

Gegen 10:00 Uhr liegt die Heidelberg in Esztergom fest und wir starten zur Besichtigung der dortigen Basilika, „caput, mater et magistra ecclesiarum hungariae“, Oberhaupt, Mutter und Lehrmeisterin der Kirche Ungarns – in aller Bescheidenheit also DER Kirche im Land -, mit einer Bimmelbahnfahrt, d.h. mit einem als Lokomotive verkleideten Traktor, der zwei bunt bemalte aber recht klapprige Anhänger zügig und nicht gerade rückenschonend durch eine beachtliche Auswahl an Schlaglöchern und Querrillen den Berg hinauf zu eben diesem Gebäude zieht. Wohl dem, der Ibuprophen dabei hat!

Portal der Basilika

Und dann stehen wir vor einem mächtigen Säulenportal, das nicht nur an griechische oder römische Vorbilder erinnert, sondern auch an den Dom zu Helsinki – sollte es etwa mehr als eine Sprachverwandtschaft geben? Drinnen dann eine elegante Schlichtheit, die durchaus auch in den Norden passen würde. Kein Barock, wenig Blattgold – woher auch, die Basilika stammt aus dem 19. Jahrhundert, weil ihre Vorgänger entweder abbrannten, durch Truppen zerstört wurden oder der ganze Berg einfach als militärstrategisch wichtig, schnöden weltlichen Zwecken der Verteidigung dienen musste -, aber durchaus würdevolles Gedenken an verschiedene Heilige und Selige, mit oder ohne Reliquie, an Stephan, den ersten König Ungarns, sowie an Adalbert von Prag, den Schutzpatron des Bistums. Und natürlich an Maria, der, anlässlich ihrer Himmelfahrt, zusammen mit Adalbert der Dom jeweils zur ideellen Hälfte geweiht ist.

Nach dem Mittag geht die Fahrt weiter nach Budapest. Die Sonne ist uns hold geblieben und gegen einen Nachmittag auf dem Sonnendeck mit langsam vorüber ziehenden Burgen, kleinen Städten, Wäldern und Inselchen ist bei Kuchen und Cappuccino überhaupt nichts einzuwenden!

Sonniger Nachmittag auf dem Oberdeck

In Budapest angekommen, starten wir im Anschluss an das Abendessen, bei dem sich der Koch ausnahmsweise höchst zufriedenstellend an gebratener Kalbsleber versucht hat, zu einer Lichterfahrt auf der Donau. Fast alle wichtigen Gebäude entlang des Flusses sind beleuchtet, angestrahlt oder beides. Einfach phantastisch.

Beleuchtetes Hotel Gellert an der Donau

Dazu spielen zwei Musiker einer der angeblich besten Zigeunerkapellen der Stadt von ungarischen Weisen bis zu Operettenmelodien alles, was das Klischee des Landestypischen erfüllt – wobei die Fingerfertigkeit des Geigers am Hals seiner Violine mein optisches Auflösungsvermögen zeitweilig deutlich übersteigt und seine Bogenführung eine stark fortgeschrittene Parkinsonerkrankung geradezu deklassieren würde.

Interessant übrigens, dass sich niemand der Anwesenden – inklusive der beiden Musiker – darüber echauffiert, dass hier Zigeuner als eben solche und nicht als Z-Wort-Menschen bezeichnet werden. Bei uns hätten die Herren ja samt ihrer Instrumente vor Betroffenheit umgehend ins Wasser springen müssen…

Die Universität bei Nacht

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