Budapest per Bus und zu Fuß

6:20 Uhr. Das fortwährende Röhren benachbarter Bordtoiletten reißt mich aus den Träumen. Eine mir wohlvertraute Stimme murmelt ins Kopfkissen „Sind die alle krank?“. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich bin also nicht allein zu dieser Unzeit wach. Nur, was ist in den Nachbarkabinen los? War die Kalbsleber gestern Abend zwar lecker aber doch nicht so frisch? Dann wären wir jetzt wohl auch aufgerufen, uns an diesem Lokusfeuerwerk zu beteiligen. Sind wir aber nicht. Uns fehlt außer Schlaf gerade mal nichts. Da das Getöse kein Ende nimmt, ist an diesen aber nicht mehr zu denken.

Also, Gardinen aufziehen und… Es ist kaum zu fassen, blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. Man kann ja über Viktor Orbán denken, was man will, aber Wetter kann er!

Am Frühstückstisch haben wir ihn dann auch gleich nochmal am Wickel – allerdings zum Bashing. Und als Polen gleich mit einbezogen wird, erlaube ich mir, als Advocatus Diaboli einmal in die Runde zu fragen, ob man es nicht auch als Übergriffigkeit betrachten könne, wenn eine demokratisch nicht legitimierte Bürokratie, die zur Regelung wirtschaftlicher Angelegenheiten eingesetzt wurde und sich nicht mal auf eine Verfassung berufen kann, nun auch moralisch-ethische Grundsätze definiert und diese als „Wertekanon“ durchzusetzen versucht. Und plötzlich wird die Diskussion angenehmer, nachdenklicher und differenzierter, denn die „Vereinigten Staaten von Europa“ will – außer mir – auch so recht keiner.

Inzwischen wissen wir sogar, warum wir heute so früh geweckt wurden. Bereits um 9:00 Uhr beginnt der Ausflug „Stadtrundfahrt Budapest“ und dementsprechend leer ist jetzt das Restaurant. Nicht unangenehm.

Wie die geneigte Leserschaft wohl bereits vermutet hat, nehmen wir an besagtem Ausflug nicht teil. Wir werden uns am Vormittag mit einem HopOn-HopOff-Bus die Stadt präsentieren lassen, um am Nachmittag gezielt uns interessant erscheinende Plätze oder Gebäude zu erkunden.

Donaubrücke am Tage

Und genau so kommt es. Gute 90 Minuten lassen wir uns durch Budapest kutschieren, hören über Kopfhörer verschiedenste, erstaunlich emotionslos dahergeleierte Erläuterungen, geben uns zeitweilig der Erinnerung an Paris hin, wenn wir durch prachtvolle Boulevards gefahren werden – selbst, wenn hier und da die Pracht bröckelt – und freuen uns an dieser auch am Tage wirklich schönen Stadt.

Manche Fassade bedürfte etwas Pflege

Und die Auswahl für den Nachmittag? Die Synagoge in der Dohánystraße und die berühmte Markthalle – ein echtes Alternativprogramm!

Abenteuer: Wir fahren Straßenbahn…
…und U-Bahn

Zur Synagoge fahren wir mit der Straßen- und der U-Bahn, die für Menschen über 65 Jahre kostenlos zu benutzen ist. Zwei Stationen Straßenbahn, vier Stationen mit der grünen U-Bahnlinie 4, dann umsteigen und zwei Stationen mit der roten 2. Abenteuer? Ja und nein! Ja, weil wir das, was wir im Zug und an den Stationen lesen, weder aussprechen noch verstehen können. Sollten wir also die Orientierung verlieren, machen wir gnadenlos eine ÖPNV-Stadtrundfahrt. Nein, weil wir uns einfach unter die normale Bevölkerung mischen und so auch etwas von deren Alltag erleben dürfen. Das Tempo, die Organisation des Verkehrs, Fahrkartenkontrollen und erstaunlich schnelle, ewig lange Rolltreppen.

Dann die Synagoge. Es ist die zweit- oder drittgrößte der Welt und ca. 3.000 Personen passen hinein. Drinnen empfängt uns eine Atmosphäre, deren Ausstrahlung so ganz anders ist, als wir sie von den bislang besuchten Kirchen erfahren haben. Statt barockem Prunk würdevolles, leicht distanzierendes Interieur aus dunklem Holz, von Kandelabern und Wandlampen mäßig erhellt. Vorn der Thoraschrein, davor ein ewiges Licht und im Hintergrund eine Orgel – Zeichen dafür, dass es sich um eine liberale Synagoge handelt, denn in orthodoxen Gebetshäusern gibt’s die nicht.

Die Synagoge
Der Baum des Lebens

Nachdem wir mittels Führerin noch viel Wissenswertes über das Gebäude, den Gedenkfriedhof und den Baum des Lebens erfahren haben, zieht es uns zur Markthalle. Also wieder in die U-Bahn und rasch bevor dort die Läden schließen ab in die Halle. Leider haben die meisten Stände doch schon geschlossen, obwohl es erst 17:20 Uhr ist und bis 18:00 Uhr alles geöffnet sein sollte. Deshalb und weil unsere Füße inzwischen total durchgelaufen sind, trapsen wir langsam retour zum Schiff.

In der Markthalle

Um 21:30 Uhr ist „SailAway“, der Abschied von Budapest, von den herrlich beleuchteten Gebäuden längs des Flusses, zu dem die Crew einen speziellen Cocktail serviert. Da weder wir noch unsere Tischnachbarn herausbekommen, was das sein soll, bzw. was darin vermixt ist, beenden wir den Tag noch bei einem Aperol im Salon und ertragen dabei geduldig Rudis Tagesausklang.

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