Übelkeit und Ortswechsel

Freitagnacht. In meinem Untergeschoss rumort es heftig. Die Angelegenheit wird durch kontrolliertes Druckablassen dem Orkus übergeben. Ich kann weiter schlafen.

Freitagmorgen. Unserer „Reiseleitung“ geht es schlecht. Sie verbringt den Morgen im labilem Zustand der unsicheren Vorhersage, wann und auf welchem Wege sich der interne Überdruck auszugleichen gedenkt.

Nach Abwägung verschiedener stabilisierender Möglichkeiten, wird weitere Bettruhe als zuvörderst hilfreich angesehen. Die geplante Tour fällt aus.

Gegen Mittag ein kurzer Austausch der gemeinsamen Misslichkeiten und deren Symptome. Es kommen Zweifel an den gesundheitsfördernden Eigenschaften der vom lokalen  Frittenjongleur in seinem Speiseangebot verwendeten Ingredienzen auf. Schließlich ist man einig, dass dieselben durchaus frischer hätten sein dürfen und streicht Ihn bis auf weiteres von der Liste der hiesigen Verköstigungsunternehmen.

Der Tag zieht an uns vorüber, nicht ohne für den Abend einen Abschiedsbesuch im Pub zu planen – Bier (in Irland insbesondere Guinness) beruhigt bekanntlich den Magen!

im Pub
Mags and the „Fab Four“

Freitagabend. Gegen 19:30 Uhr fallen wir im O‘Loclainn‘s ein, bestellen die vier obligatorischen Guinness und belegen „unsere“ Ecke. Die Bar ist leer, außer uns niemand da. Mags, die Wirtin bittet, dass wir an den nächsten Tisch umziehen, gleich käme die Musik und die säße genau in „unserer“ Ecke. Bis es soweit ist, erstehe ich noch rasch ein T-Shirt mit dem Logo der Bar als Andenken.

music
Freitagabend gibt’s Livemusik im Pub

20:00 Uhr, die Musik sitzt in „unserer“ Ecke. Zwei Geiger, ein Gitarrist, ein Groupie. Inzwischen ist die Bar zur Hälfte mit Gästen gefüllt. Man stimmt, ein Geiger beginnt zu spielen, der zweite auch, der Gitarrist sucht eifrig nach den passenden Akkorden, die Bar füllt sich bis zur Grenze ihres Fassungsvermögens.

21:00 Uhr, viele Gäste ordnen und sortieren sich. Hier und da werden Absprachen getroffen. Was kommt jetzt? Es wird still, Gespräche enden. Einer der Geiger beginnt zu spielen, singt dazu. Viel bekomme ich vom Text nicht mit, aber ganz offensichtlich handelt er von Not, Auswanderung, Seefahrt und der Sehnsucht, aus der Ferne wieder nach Hause zu kommen. Eindrucksvoll pointiert trägt der Sänger die Strophen vor und es ist berührend, mit welcher Inbrunst der ganze Pub den Refrain, untereinander eingehakt, leicht im Rhythmus der Melodie wiegend, mitsingt. Es würde mich nicht wundern, wenn der eine oder die änderte dabei eine Träne im Knopfloch hätte. In diesem Augenblick kann ich die tiefe, selbstverständliche Verbundenheit dieser Menschen mit ihrem Land, ihrer Heimat, dem Schicksal ihrer Vorfahren und den alten Traditionen fast mit der Hand greifen. Wenige Minuten später beginnt ein alter Mann, ein Gast, mit kratziger Stimme ein weiteres Lied zu singen. Niemand spricht, niemand singt mit, die Musik schweigt. Alle hören geradezu andächtig seinen knorrigen Vortrag. Es ist wie eine Ehrerbietung vor ihm, dem Lied, dem Text.

Was für ein schöner Abschluss unserer Tage in Ballyvaughan! Morgen machen wir uns auf den Weg nach Cleggan, der nächsten Station auf unserer Reise.


Sonnabend. Wir ziehen um nach Cleggan, einen kleinen Flecken nord-westlich von Galway, direkt an der Küste. Hier bleiben wir für die nächsten drei Tage.

Bis Galway könnten unsere Maschinen inzwischen eigentlich alleine fahren und um die Stadt herum, bzw. durch sie hindurch wäre es uns sogar recht lieb, täten sie es (der Verkehr dort ist eher ätzend), aber da wir nicht zu Fuß gehen wollen, lassen wir sie dann doch nicht. Auch die N59 kennen wir bereits von der Rückfahrt aus Cong – sind aber überrascht, wie sehr doch ein Richtungswechsel die Landschaft verändern kann… Am frühen Mittag dann noch ein Abzweig in den Connemara Nationalpark – wir haben viel Zeit, können das Cottage erst ab 15:00 Uhr beziehen.

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Wir fahren durch den Connemara National Parc

Und was für eine Überraschung, damit hatte ich nicht gerechnet. Weites Hochmoor, in einer unglaublichen Vielfalt von grün, oliv und rotbraunen Farbtönen, umrahmt von sanften, satt-grünen Bergen, die schmale Straße schlängelt sich am Ufer eines Sees entlang und in der Ferne sind zwischen Hügeln ein paar vereinzelte Häuser auszumachen.

Connemara
Sanfte Berge in tausend Grün- Rot- und Brauntönen

Eine Landschaft, die einerseits Ruhe und Ausgeglichenheit vermittelt, andererseits aber schon fast an den Rand des Kitschigen reicht. Unglaublich, dass es real ist. Mir kommt das Lied des Geigers aus dem Pub in den Sinn, diese gemeinschaftlich zelebrierte Sehnsucht nach Heimat, das gemeinsame Wiegen im Takt. Was würde besser dazu passen als eine solche Szenerie…? Einen winzigen Moment lang habe ich das Gefühl, ein klein wenig von diesem Land und seinen Menschen verstanden zu haben.

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Ob National Parc oder nicht, die Landschaft bleibt phantastisch

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