Heute morgen ist es kühl – sehr kühl sogar: 26°C. Wolken sind aufgezogen und es ist diesig. Nach einem sehr stilvoll servierten Frühstück mit – wie üblich – kargester Ausstattung packen wir die Maschinen und stellen fest, dass die Küste im Dunst verschwunden ist und in den Bergen der Regen hängt. Was bleibt da übrig, als Meilen zu machen und besserem Wetter entgegen zu fahren. Also ab auf die Autobahn wann immer das geht (die A8 ist nicht durchgehend, man muss immer mal wieder Stücke auf der Landstraße fahren).
Die Orte, die wir auf der Küstenstraße durchfahren sind trist und menschenleer, die Straße geht meist ziemlich geradeaus, die Autobahn ohnehin und immer mal wieder nieselt es. Keine schöne Sonntagstour. Einzige Ausnahme: Die Überfahrt über die Provinzgrenze zwischen Asturien und Galizien bei Ribadeo. Hier führt eine imposante Brücke über die Bucht und man hat eine phantastische Aussicht zu beiden Seiten hin! Das heißt: Langsam fahren und genießen!
In Foz biegt die Autobahn in einer großen Kurve nach links in die Berge ab und wir beschließen, da nicht mitzumachen, denn dann würden wir direkt in den Regen hineinfahren. Deshalb fahren wir von der Autobahn ab, um weiter an der Küste entlang zu fahren. Meist ist das Wetter dort ja etwas besser als im Landesinneren.
Bis Burela ist die Strecke ungefähr ebenso langweilig wie zuvor die Fahrten durch die verlassenen Orte. In der Gegend von Cervo machen wir dann den Fehler, der Ausschilderung „N642“ weiter zu folgen und von der Hauptstraße abzubiegen. Nach wenigen hundert Metern befinden wir uns in dem scheußlichen Industriegebiet von Lieiro, in dem es nach Altöl und allerlei anderem Unrat stinkt. Schnell umdrehen und wieder zurück auf die Hauptstraße – auch wenn wir jetzt nicht mehr wissen, wie die Nummerierung der Straße lautet.
Dann wird es landschaftlich wieder etwas netter. Wir fahren durch Wälder und auch ein paar Kurven lassen sich finden. Sehr schön ist der Ausblick auf Faro und Casanova – nein, nicht den Charmeur sondern die gleichnamige Stadt – und Viveiro, die dicht nebeneinander an einer Bucht liegen, in die der Rio Landro mündet und die eine touristische Hochburg der Gegend darstellen.
Wir folgen weiter der inzwischen wiedergefundenen N642 und sind eigentlich mit der Landschaft inzwischen ganz zufrieden. Lediglich in den Kurven muss man etwas aufpassen. Die kühle Witterung hat die Bäume veranlasst, bereits jetzt, Mitte August, an Herbst zu denken und sich allerlei Blätter zu entledigen, die nun vornehmlich in Kurven auf der Straße herumliegen. Überhaupt das Wetter: Es wird immer kühler und trüber, je weiter wir nach Westen vorankommen.
Etwas außerhalb von Ortigueira essen wir in einem Ausflugslokal das „Menu del Dia“, das Tagesmenü. Eine ungeheure, formgepresste Portion Erbsen-Mayonnaise-Pudding als Vorspeise. Danach ein Rindergulasch mit pommesähnlichen Kartoffelstücken in – man hätte es ja erwarten können – öltriefender Sauce als Hauptgang. Den Nachtisch sparen wir uns und bitten um einen Espresso. Draußen ist es trübe, die Aussicht auf die endlos erscheinende flache Mündungslandschaft des Ri Mera ist von grauer Fläche dominiert. Um uns herum schnattern Familien und Busladungen von Rentnern. Die meisten rauchen eine Zigarette nach der anderen, am Nebentisch qualmt einer seine Zigarre. Wir sind kurz davor, Depressionen zu bekommen, zahlen rasch und fliehen wieder auf unsere Maschinen.
Vor Ferrol beginnt es richtig zu wehen und es ist kalt. Wir gehen wieder auf die Autobahn und umfahren die Städte Ferrol und A Coruña bis zum Ende der Autobahn bei Carballo. Eigentlich wollten wir in A Coruña in der Jugendherberge bleiben, aber bei dem Wetter und am Sonntag, wo alle Städte menschenleer sind, hätten wir ohnehin keinen touristischen Nutzen davon. Also ist unsere Absicht, so nah, wie möglich an das „Ende der Welt“, das Cap Finisterre, heranzukommen, damit wir morgen, bei hoffentlich besserem Wetter, mehr Zeit für einen Besuch des Kaps haben.
Die Fahrt von Carballo bis nach Cee, dem letzten Ort vor dem Kap zieht sich länger hin als gedacht und das Wetter wird auch nicht besser. In Cee regnet es und alles hat geschlossen – Geschäfte, Touristeninformation, der Ort ist wie ausgestorben. Wir schwatzen ein wenig mit einem netten Paar aus Holland, die mit ihrem Campingmobil ebenfalls vor der geschlossenen Touristinfo gestrandet sind und bleiben schließlich in einer kleinen, gepflegten Pension. Die Verständigung ist nicht ganz einfach, aber der Besitzer hat ein Herz für Biker und öffnet seine private Garage für uns, damit wir die Maschinen nicht auf der Straße stehen lassen müssen. Eine heiße Dusche, das schöne Zimmer, die nette Atmosphäre des Hauses und die Aussicht auf die Bucht von Cee lassen uns den inzwischen konstanten Regen als nicht mehr so wichtig erscheinen. Das Abendessen fällt aus.
Am nächsten Morgen regnet es immer noch. Frühstück gibt es auch nicht. Ein Keks und ein Tee aus dem Automaten im Flur der Pension müssen reichen. Wir ziehen das Regenzeug gleich über die Kombis und machen uns auf den Weg zum Kap. Am Wasser ist das Wetter ja vielleicht etwas besser. Außerdem sind wir bis hierher über 2.100 km gefahren, da wollen wir nicht einfach am Kap vorbei fahren.
Die Straße nach Finisterre ist glatt. Die Bäume sind offensichtlich in Panik geraten, dass in den nächsten Tagen Schnee fällt und sie den Winter verpassen könnten, denn wir fahren durch ein Gemisch aus Regen und vorhangartig fallenden Blättern. Beides bildet auf der Straße ein herrlich rutschiges Gemisch. Hinter Finisterre wird es auch noch eng, fast einspurig, und neblig. Die Sicht beträgt ca. 20 Meter. Glücklicherweise sind wir gerade die einzigen Benutzer dieser Anfahrt zum Kap.
Dann ist das Ende erreicht. Zumindest das der Straße. Ein Parkplatz, ein Kiosk und das Kreuz, welches das endgültige Ende des Camiño, des Jakobsweges anzeigt. Aber wo sind der Leuchtturm und das eigentliche Kap? Ein paar Pilger versuchen sich zu wärmen, indem sie vor dem geschlossenen Kiosk ihre Pilgerhüte anzünden und nasse, getragene Unterwäsche darin verbrennen – das beißt in den Augen und stinkt gewaltig.
Gemäß einer Übersichtskarte geht ein Weg am Kiosk vorbei, direkt zum Kap, auf dem der Leuchtturm stehen soll. Ich tapse in voller Regenmontur vorsichtig in die vermutete Richtung. Nebel und Regen lassen mir knapp 10 Meter Sicht. Öffne ich das Visier, regnet es in den Helm. Lasse ich es geschlossen, beschlägt es auch noch. Nach ca. 10 Minuten stehe ich am Ende des Weges vor einer Tür – dem Eingang zum Leuchtturm. Den Bildern zufolge, die ich gesehen habe, ist es ein großer grauer Kasten mit Fenstern, also nicht das, was man sich als Norddeutscher unter einem Leuchtturm vorstellt. Aber außer eben dieser Tür, zu der mein Abstand jetzt gerade einmal rund 5 Meter beträgt, sehe ich nichts. Der graue Kasten ist einfach im Nebel verschwunden.
Rechts finde ich aufsteigend einen Fußweg zum Aussichtspunkt, dem ich folge. Nach 5 bis 10 Metern über glitschige Felstreppen stehe ich an einem Eisenpfahl, der wohl den Aussichtspunkt markiert. Das obere Ende sehe ich nicht – und das Kap? Nun, was soll man am Ende der Welt schon sehen? Nichts!
Inzwischen ist es 10:00 Uhr geworden. Der Kiosk hat immer noch geschlossen, es gibt also nicht einmal ein Souvenir oder einen heißen Kaffee und die Pilger kokeln immer noch an ihrer nassen Unterwäsche herum. Wir machen uns auf den Weg nach Santiago de Compostela. Wenn ich das Kap Finisterre schon nicht gesehen habe, dann wenigstens einmal die Kathedrale von Santiago.