Freundliche Finnen

Wer bislang meine Reiseberichte gelesen und Erzählungen eigener Erfahrungen zugehört hat, weiß, dass ich von den Finnen leider kein gutes Bild habe. Sie sind verschlossen bis zur Unfreundlichkeit, maulfaul und mürrisch. Wenn irgendwo ein Bike neben Deinem steht und der Besitzer grüßt nicht, sondern schaut demonstrativ weg – es ist ein Finne.

Hotel Memel, Klaipeda. Unseren Bikes stehen zwei finnische gegenüber. „Pass auf, das sind morgen früh die einzigen, die nicht grüßen, sondern weg schauen.“ „Ja, ja, Du und Deine Vorurteile“, bekomme ich zurück. Aber am nächsten Morgen sind es tatsächlich genau die zwei, die sich so verhalten, wie ich es prophezeit hatte. Von wegen Vorurteile…

Tallinn, Warteschlange zur Fähre nach Helsinki. Vor uns ein Finne mit seiner BMW. Er hört Musik, schaut kurz zu uns hin. Wir grüßen, er nicht. Vorurteil???

Irgendwann kommt die Fähre doch noch.

Man lässt uns zur Rampe fahren, aber das Schiff ist noch nicht da. Er steht im einzigen knappen Schatten eines kleinen Eingangsvordaches. Wir stellen uns daneben, ignorieren ihn. Und nach einer Weile geschieht das Unfassbare: Er nimmt den Ohrhörer raus und spricht, fragt woher, wohin. Sein English ist bemüht, aber brauchbar. Wir unterhalten uns! Unglaublich!

Er berichtet vom Urlaub in den Dolomiten, zeigt uns sogar ein Foto vom Hotel. Ich frage, ob er aus Helsinki kommt. Nein, dort arbeitet er nur. Wohnen tut er etwas nord-östlich von Turku. Mitten im Wald (er zeigt es auf Google Maps), weil er da keine Nachbarn hat, mit denen er reden muss. Und ja, er fährt auch immer allein in Urlaub. Dann muss er mit niemandem über die Tour und über alle möglichen anderen Befindlichkeiten diskutieren. Also doch, eigenbrötlerisch, aber immerhin nicht unfreundlich. Damit kann man ja leben.

Turku, Sonntagabend. Wir übernachten in einem B&B-Erholungsheim für Krebskranke. Es hat ein wenig den Charakter einer Jugendherberge. Außer uns sind nur noch zwei Küchenfrauen im Haus, die Reste einer nachmittäglichen Feier beseitigen und den Gemeinschaftsraum für das Frühstück am Montag herrichten. Als ich den Raum betrete, bemerkt man mich gar nicht. – Hatte ich etwas anderes erwartet?

Ich traue mich, vorsichtig nachzufragen, ob wir noch etwas zu essen bekommen können – und bin beinahe entsetzt: „Ja, natürlich! Es ist noch etwas von der Feier übrig. Nehmen Sie, was und soviel Sie mögen. Hier ist eine Mikrowelle, ich schalte Ihnen den Kaffeeautomaten wieder ein, damit Sie Kaffee und Tee zum Essen haben.“ Kann ich Augen und Ohren trauen? Diese Freundlichkeit, diese Hilfsbereitschaft? Und zum Abschluss wird uns auch noch das Geschirr abgewaschen. Unglaublich! Es gibt offenbar Ausnahmen!

Das (!) muss gleich notiert werden!

Camping Gröna Udden, Mariehamn, Ålandinseln. Wir bauen unser Zelt bei wieder mal über 30° C auf einer schattenlosen Wiese auf. Es stürmt mit 6 bis 7 Bft. Erdnägel halten nicht, alle dem Wind zugewandten Abspannungen müssen mit Häringen befestigt werden. Immer wieder droht alles wegzufliegen. Nach etwa einer Dreiviertelstunde steht die Villa Faltenreich so einigermaßen fest im Wind – und wir sind schweißgebadet.

Gegenüber, auf der anderen Wegseite hat ein finnisches Paar sein Zelt aufgeschlagen und ist bereits fertig. Man sitzt am Tisch und beobachtet uns. Plötzlich stehen die beiden auf, holen zwei Dosen Getränk aus dem Zelt und kommen zu uns rüber. Sie bringen kalten Gin mit Grapefruitbrause, entschuldigen sich, dass sie sonst nur warmes Bier hätten und freuen sich, uns damit ein wenig Entspannung bereiten zu können. Wir fassen es nicht. Das ist ja noch unglaublicher als die Szene in Turku.

Die Villa steht. Nicht schön, aber fest.

Und es bleibt so. Die nächsten Tage gibt es mal ein Schwätzchen, mal einen Scherz, man winkt sich zu, weiß, die anderen passen auf, wenn man nicht da ist. Eine sehr angenehme, freundliche und dennoch distanzierte, unaufdringliche Gesellschaft.

Und was ist jetzt mit den Vorurteilen? In den Orkus damit!

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