Nach unserem Ausflug an den östlichsten Zipfel Estlands genießen wir die Fahrt entlang der Nordküste mit den vielen schönen Ausblicken auf die Ostsee, einem exzellenten Campingplatz (solche Bäder haben wir nicht einmal zu Hause) und einem langen Abendspaziergang barfuß am Strand. Mein Gott, wie lange haben wir sowas schon nicht mehr gemacht…
Am nächsten Morgen geht es dann weiter durch hübsche kleine Dörfer und (für estnische Verhältnisse) zahlreiche Seebäder, wie zum Beispiel den Ort Käsmu. Auch sie haben noch den dörflichen Charakter, sind aber sehr gepflegt und sich ganz offensichtlich ihres Charmes bewusst.
Wir fahren bewusst langsam und mit einigen Umwegen durch den Nationalpark Lahemaa. Manchmal geht es an der Küste entlang – von der man allerdings nicht viel sieht, weil zwischen Straße und Strand Küstenwald steht -, manchmal fahren wir durch kleine Dörfer oder langgestrickte Siedlungen mit nur wenigen Häusern. Es ist eine schöne, geradezu beruhigende Landschaft, die aber auch hier (wie am Peipussee) erst wenige Touristen anzieht.
Wäre gerade dieser Landesteil nicht so weit weg von zu Hause, hier könnte man einen völlig entspannten Urlaub genießen.
Und plötzlich stehen wir vor dem Herrenhaus Sagadi. Einem beeindruckenden Anwesen, das einst eines der größten und mächtigsten Güter Estlands gewesen ist. Hier lebte über Jahrhunderte die Familie von Fock und es gibt zahlreiche Inschriften und Details, die daran erinnern.
Auch, wenn es heute ein Hotel und Tagungsort ist, man kann sich sehr gut vorstellen, wie der alte Fock im Sonntagsstaat seine Gäste empfangen und in Reithose mit Schaftstiefeln das Gut befehligt hat, bzw. bewirtschaften ließ. Sicher ein Grund dafür, dass auf diesem Gelände zahlreiche Fernsehserien und Spielfilme für das estnische Fernsehen gedreht wurden. Man pflegt eben nicht nur die Geschichte, sondern auch das Klischee.
Schließlich noch Tallinn. Unser Hotel liegt nahe der Altstadt und wir genießen deren mittelalterliches Flair. Auch in dieser Stadt waren wir drei Jahre zuvor schon gewesen, weshalb uns, wie in Riga, nichts nötigt, alles sehen oder fotografieren zu wollen.
Wir lassen die hübschen alten Bauten mit den vielen deutschen Inschriften aus der Hansezeit, die engen Gassen mit dem holprigen Kopfsteinpflaster, die mächtige Stadtmauer, die vielen bunt Kostümierten, die Musikanten, die von russischer Akkordeonfolklore bis zu klassischen Violinstücken allerlei mehr oder weniger Kulturelles darbieten, die Straßenmaler und -zeichner, die zahlreichen Lokale mit ihren überdachten Veranden auf der Straße und den ganzen Rummel darum herum einfach auf uns wirken, suchen uns dann in einer ruhigeren Ecke ein Lokal zum Abendessen.
Und während ich so mit meinem Handy hantiere, schaue ich mir mehr zufällig auch noch einmal die Buchungsbestätigung für die Fähre morgen früh nach Helsinki an. Der Schreck fährt mir in die Glieder. Wir hatten gestern Abend schlechten Netzempfang und der Bezahlvorgang für die Buchung war alles andere als einfach (sicher ist ja schön, aber so sicher, dass es nicht mehr klappt, ist unschön). Und jetzt habe ich nicht Tallinn – Helsinki gebucht, sondern umgekehrt. Mein Anruf bei der Eckerö-Line landet, wie zu erwarten, in der Warteschlange und ich darf mir endlos lange estnische Werbung (oder das, was ich dafür halte) anhören. Dann kommt meine Pizza und ich hänge auf.
Das Essen schmeckt mir nicht besonders – was aber natürlich nicht an der Küche des Hauses liegt. Ich sehe zu, fertig zu werden. Dann der zweite Anruf. Wieder Warteschlange, wieder Unverständliches. Endlich ein Mitarbeiter. Ein kompetenter sogar, Englisch sprechend. Ihn lässt mein Fehler völlig kalt; sowas scheint öfter vorzukommen. Völlig problemlos ändert er die Buchung, schickt mir eine neue Bestätigung. Dumm nur, dass unsere Fähre jetzt nicht mehr um 9:00 Uhr, sondern erst um 12:00 Uhr abfährt – und wir wollen morgen noch bis Turku…