Endspurt zum Nordkap

Freitag, 14. Juli 2006 – Strecke: 490 km – Fahrzeit ca. 10 Std.

Von Sandnes zum Nordkap

1:40 Uhr in der Nacht. Es ist taghell. Die Sonne scheint grell in das Fenster unserer Hütte. Rasch den Fotoapparat geholt und ein Bild von dieser „Nachmitternachtssonne“ gemacht. Dann wird ruhig weitergeschlafen. Ist schon merkwürdig: Nachts scheint die Sonne und am Tage regnet es…

Mitternachtssonne

Sechs Stunden später. Es regnet. Hendrik hat gestern wieder seine Maschine geputzt! Das Frühstück fällt aus und wir machen uns einsam auf den Weg. Die übrigen Hütten sind leer, die E6 wirkt verlassen, es ist alles grau in grau und wir haben mäßig gute Laune.

Samimarkt

Daran ändert auch der Samenmarkt nichts, den wir am Samelen hinter Sandbukta kurz besuchen. Wir sind schon öfter an diesen ärmlichen Ansammlungen von Zelten mit Fellen, Geweihen und allerlei anderem Trödel vorbeigefahren, aber dieses Mal halten wir doch an und schauen. Es lohnt sich nicht, außer man hat eine Vorliebe für in bunte Hausschuhe eingenähte Püppchen, Brieföffner aus Rentiergeweih oder anderen Ethnokitsch. Dafür entschädigt die sich anschließende Aussicht auf den Kvænangen und den Sørstraumen jedoch reichlich! Außerdem hat es ganz aufgehört zu regnen.

Die weitere Fahrt verläuft zügig. Mal am Fjord entlang, dann hinauf in die Berge und wieder zum nächsten Fjord hinunter. An die immer wieder phantastischen Ausblicke auf das mit Inseln durchsetzte Wasser vor grandioser Bergkulisse hat man sich fast schon gewöhnt. Mal sind die Fjorde enger, wie der Langfjord, mal weiter, wie der Altafjord.

Am Langfjord

Gegen Mittag erreichen wir Alta selbst und sehen zum ersten Mal ein Hinweisschild: Nordkapp 240 km. Das müßte doch heute noch zu schaffen sein!? Es ist schließlich gerade mal 11:00 Uhr und das Wetter ist auch recht angenehm geworden. Für die nächsten Tage sagen die Meteorologen wieder Dauerregen voraus. Rasch etwas gegessen und – es nieselt wieder.

Kurz vor Alta
Alta

Diesmal ziehe auch ich nach wenigen Kilometern im feinen Regen die Regenkombi über die Tourenkombi, weil es durch das verdunstende Wasser während der Fahrt einfach zu kalt geworden ist. Bei etwa 12° C Außentemperatur und 80 bis 90 km/h Fahrt liegt die gefühlte Temperatur ohne Regen schon deutlich unter 0°. Ich sehe zwar aufgeblasen aus wie das Michelin-Männchen, habe aber nur noch kalte Hände – trotz dicker Winterhandschuhe. Hendrik klagt schon gar nicht mehr. Er friert einfach geduldig vor sich hin und wir haben uns versprochen, ohne Umwege zum Kap zu fahren, um danach so schnell wie möglich in wärmeren Gefilden zu verschwinden.

Aber noch sind wir nicht angekommen! Hinter Alta geht es hinauf zum Sennalandet, einer atemberaubenden Hochebene, die in allen Details an Amerika und die von dort bekannten Bikerfilme erinnert. Völlig menschenleer, ohne Häuser oder andere Gebäude und nahezu ohne nennenswerte Vegetation präsentiert sich die Landschaft, durch die sich die Straße nebst der sie begleitenden Telefonmasten zieht. Immer geradeaus. Bis zum Horizont. Und danach bis zum nächsten Horizont. Und danach… Norwegen ist kein Land für Menschen mit Platzangst.

Sennalandet

Nach etwa 30 Kilometern ändert sich der Landschaftscharakter. Die Straße wird vom Reppafjordelva begleitet, einem breiten, sehr flachen Fluß, in dem vereinzelt Angler in grünen Gummihosen herumstehen. An den nun wieder markanteren Bergflanken nahe der Straße finden sich Sommerhäuschen, ja sogar ein Hotel und nach kurzer Zeit kommen wir an den Abzweig der 94 nach Hammerfest. Nun, unser Ziel bleibt das Kap und deshalb biegen wir hier nicht ab. Das tun wir erst in Smørfjord, wo sich die E6 rechts nach Kirkenes wendet und links die E69 zum Nordkap beginnt. Hier fahren wir links ab! Nur noch 70 Kilometer!

Der letzte Abzweig

Sonnenschein und heftige Fallwinde aus den Bergen begleiten unsere Fahrt entlang des Porsangen. Kein Problem, solche Winde kennen wir ja bereits von den Lofoten. Allerdings, je weiter wir nordwärts vorankommen, desto öfter verdunkelt sich der Himmel, Böen und Windstöße werden zunehmend heftiger. Dann kommen wir an den Nordkaptunnel und müssen zum ersten Mal als Motorradfahrer Maut bezahlen. Das hatte bislang immer nur die PKWs betroffen. Aber es handelt sich ja auch mit knapp 7 Kilometern Länge und 200 Meter unter der Meeresoberfläche um den längsten unterseeischen Straßentunnel der Welt. Das müssen halt alle mitfinanzieren.

Samisiedlung

Nach eben diesen sieben Kilometern Tunnel kommen wir in Honningsvåg wieder ans Tageslicht. Die Radfahrer, die wir trafen, brauchen sicher noch eine ganze Weile, um wieder nach oben zu kommen. Die waren nämlich wegen der starken und lang andauernden Steigung da unten am Schieben. Wir dagegen sehen in der Bucht die Post- und Kreuzfahrerschiffe liegen. Spätestens bei diesem Anblick hätten wir ahnen können, was uns am Kap erwartet. Wir tanken und nehmen die letzten 36 Kilometer bis zum Ziel in Angriff.

Wieder dickes Wetter

Zügig steigt die Straße auf die Berghöhen der Insel Magerøya, deren Spitze das Nordkap ist – ein Schieferfelsen, der gut 300 Meter aus dem Meer herausragt. Von Westen her ziehen in endloser Folge dunkle Wolken, aus denen heftige Windböen und peitschender Regen fallen, über diese karge Welt, in der außer niedrigem Gebüsch kaum noch etwas wächst. In Rechtskurven müssen wir uns nach links auslegen, um nicht von der Straße geweht zu werden. Irgendwie war es auf den Lofoten gemütlicher.

Mageröya – es ist nicht mehr weit zum Kap

Welcome to the North Cape Summer!“ sagt die freundliche junge Frau im Häuschen des Parkplatzes vor dem Kap und hält die Hand auf, um 195 Kronen Eintrittsgeld zu kassieren. Dann befinden wir uns auf dem vermutlich teuersten ungeteerten Parkplatz Europas. Und die Frage ist, wohin mit den Maschinen? Die Überzahl der Plätze ist quer zum Wind ausgerichtet, die vorhin noch einzelnen Windböen sind inzwischen zum kontinuierlichen Sturm geworden, in dem die abgestellten Wohnmobile gefährlich hin- und herschwanken.

angekommen!

Trotzdem hätten sie einen guten Windschutz abgegeben – nur sind diese wenigen Plätze bereits von anderen Motorrädern belegt. Wir stellen die Maschinen wie Schiffe mit dem Bug in den Wind. So wird es wohl gehen.

Nach 4.374 km Fahrt stelle ich den Motor meiner SevenFifty ab und ziehe den Schlüssel aus dem Zündschloß. Wir haben es geschafft!

Jetzt aber schnell zum Kap. Durch die Nordkaphalle hin zur Weltkugel, die auf dem nördlichsten Plateau des europäischen Festlandes das Nordkap symbolisiert – denn eigentlich ist das ja der Felsen, auf dem wir stehen.

Nur ist das gar nicht so einfach. Im Eingang des Gebäudes stehen Horden von Touristen, die von den Schiffen und von sonst wo mit Bussen hierher gekarrt wurden – wir hätten es uns ja denken können…

Das Ziel ist erreicht

Zum Teil in kurzen Hosen und mit kurzen Hemden bekleidet, stehen sie frierend herum und warten auf ihre Busse für die Rückfahrt. Wir werden wie Mondmenschen beäugt und nur ungern durchgelassen. Drinnen im Gebäude ist es nicht besser. Der Shop ist proppevoll, an das Postamt kommt man kaum heran, wer zur Toilette will, muß sich zwei Stockwerke höher bereits in die Schlange einreihen und ein Glas Sekt für umgerechnet über 10 Euro in der erstaunlich leeren nördlichsten Sektbar der Welt wollen wir auch nicht. Das ist alles nicht unser Ding hier. Bloß raus zur Weltkugel!

Und die macht es uns auch nicht leicht. Luftholen kann man nur, wenn man sich vom Wind abwendet oder die Hand vor den Mund hält. Ein Foto vor der Weltkugel? Ja, aber bitte so, daß der Sturm einen auf den Sockel der Kugel drückt. Nicht von der anderen Seite. Ein Foto vom westlichen Rand des Plateaus? Mühsam und in gehöriger Schräglage gegen den Wind arbeite ich mich bis zum Zaun voran. Und eines von der Nordseite? Das bedeutet, sich im Windschatten der Nordkaphalle bis an den Zaun zu begeben und dann langsam bis zur gewünschten Stelle zurückzuarbeiten. Anderenfalls bekommt man durch den Rückenwind zu viel Tempo, um ohne blaue Flecken am Zaun abbremsen zu können. Leichtere Personen und Kinder haben auf dem gesamten Plateau deutlich sichtbare Probleme, nicht einfach weggeweht zu werden. Aber wozu das eigentlich? Nach Norden ist ohnehin nur noch Wasser zu sehen.

Das richtige Nordkap…

Nach 45 Minuten Kampf mit den Elementen und den Touris fahren wir wieder ab. Wir waren nicht auf der Toilette, nicht im Postamt (wir haben, ohne in einer Schlange zu stehen, SMS verschickt) und haben auch keinen Sekt getrunken. Nur durch den Souvenirshop quälen wir uns, um einen Aufnäher für die Kombi zu ergattern. Weil aber an jeder der vier Kassen etwa 50 Leute anstehen und der Aufnäher auch noch teurer ist als unten in Honningsvåg, kaufen wir ihn später dort an der Tankstelle.

Inzwischen ist es kurz vor 18:00 Uhr und wir wollen ja noch eine Hütte für die Nacht bekommen – Zelten ist hier und heute wahrhaftig nicht angesagt. Da im Bereich des Kaps und in bzw. um Honningsvåg herum alles extrem teuer ist, beschließen wir, wieder durch den Tunnel zurück zu fahren und uns außerhalb etwas zu suchen. In Repvåg, ca. 60 Kilometer südlich vom Kap gelingt uns das.

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