Großglockner von hinten

Der frühe Vogel…, eigentlich kann er mich mal! Trotzdem: Um 10:00 Uhr stehen wir brav in der Schlange an der Mautstelle Ferleiten, um unseren Obolus für die Großglocknerstraße zu entrichten. Nicht ganz billig der Spaß, aber dafür bekommt man einen Aufkleber (den hatte ich mir natürlich schon immer gewünscht) und eine Rabattkarte, falls man im selben Jahr die Straße noch einmal befahren möchte. Möchten wir aber nicht. Wir wollen über den Berg nach Lienz, dann durch den Felbertauerntunnel und wieder retour ins Rauriser Tal.

Das Wetter soll hochsommerlich werden, so der Wetterbericht, dennoch haben wir uns warm angezogen. Schließlich ist der Großglockner erst wenige Tage nach der Wintersperre wieder befahrbar und wir gehen davon aus, dass es vielerorts, insbesondere in den höheren Regionen, noch Schnee geben wird. Da kann es trotz Sonnenschein empfindlich kühl in der Kombi sein. Und tatsächlich, je höher wir kommen, desto eindrucksvoller werden die über zwei Meter hohen Fräskanten neben der Straße und an den Bergseiten der Kurven.

Desto eindrucksvoller macht sich allerdings auch bemerkbar, dass ich mit meiner SevenFifty nur über 73 PS verfüge und der Saugmotor dieses von der Konstruktion her inzwischen museal anzusehenden Bikes mit jedem Meter Höhe an Leistung verliert. Zunächst wundere ich mich darüber, dass die anderen flotter vom Parkplatz weg kommen und aus den Kurven zügiger heraus beschleunigen, aber dann fällt mir dieser physikalische Sachverhalt wieder ein und nach sieben Jahren treuer Gefolgschaft kommen mir zum ersten Mal Gedanken über einen Modellwechsel in den Sinn.

Am Fuscher Törl legen wir eine kleine Pause ein. Hier endete im letzten Jahr mein erster Versuch, mit Hendrik zusammen den Großglockner zu befahren, denn auf diesem Parkplatz lernte ich, warum Stahlgürtelreifen Stahlgürtelreifen heißen.

Auch wir hatten hier kurz Rast gemacht und ich war zum Souvenirshop gelaufen, um mir die Füße zu vertreten. Zurück auf dem Parkplatz blitzte mir die Sonne aus einer Richtung ins Auge, aus der ich sie nicht erwartet hatte – nämlich von unten. Es war Hendriks Hinterreifen, der auf einer Länge von knapp 10 cm den Sonnenschein reflektierte. Das blanke Metall war zu sehen. Gummi war keines mehr drauf. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, meinte er lapidar, dass der TÜV ihm letztens schon gesagt hätte, der Reifen wäre dran, er aber der Ansicht war, dass es für unsere Tour noch reichen würde. Nun gut, es hatte eben nicht gereicht. Die Konsequenz war eine Abschleppaktion vom ÖAMTC nach Zell am See und damit auch keine Glocknerquerung. Heute ist er mit dem neuen Reifen vom letzten Jahr unterwegs und wir erwarten deshalb solche Überraschungen eher nicht.

Wir fahren also bei bester Stimmung weiter, durch den Hochtortunnel, vorbei am Glocknerhaus und weiter zur Franz-Josephs-Höhe. Die Edelweißspitze müssen wir leider auslassen, auf dem Straßenteil liegt noch Schnee. Aber sonst: Was für Kurven, was für Ausblicke! Mag der Großglockner auch touristisch noch so verschlissen sein, im zeitigen Frühjahr ist der Verkehr akzeptabel, die Anzahl der Busse, Wohnmobile und Radfahrer hält sich in Grenzen. Es lohnt sich wirklich, diese Straße zu befahren. Und schließlich ist das Besucherzentrum ganz oben am Scheitelpunkt der Straße auch einen Besuch wert.

Dann geht es abwärts. Es wird deutlich wärmer. Die dicken Sachen werden gegen T-Shirts getauscht, die Winter- gegen Sommerhandschuhe. Wir nähern uns der Großstadt Lienz.

Hinter Lienz weist ein Schild zum Kalstal und zur Kalser Glocknerstraße. Was ist das denn? Noch eine Glocknerstraße? Die muss erkundet werden! Also biegen wir ab, fahren eine hübsche, kaum befahrene, gut ausgebaute Straße bis – ja bis es nicht mehr weiter geht. Die Kalser Glocknerstraße ist nämlich eine Sackgasse und sie führt auch nicht zum Berg hinauf, sondern zum „Glockner von hinten“. Dort können wir in aller Ruhe, bei bester Aussicht einen Cappuccino auf der Terrasse des Kalser Kaffeehauses genießen. Kein Verkehr, außer uns keine Touristen. Das hat was!

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