Der Friede des HERRN

Belfast. Der Name sagt alles, ist Programm. Wer vor 1998 Nachrichten gehört oder gesehen hat, weiß, wofür er steht: Nordirlandkonflikt, mittelatlerlicher Glaubenskrieg mitten im 20. Jahrhundert, mitten in Europa. Um den verstanden haben zu können, hätte man sich tief in die Geschichte Irlands und Englands einlesen müssen, hätte Begriffe wie Gerechtigkeit, soziale Not, staatliche Arroganz und klerikalen Machterhalt im Kontext der Jahrhunderte bewerten – vielleicht auch neu bewerten müssen.

Und danach? Nach Karfreitag 1998? Friede? Konfliktende? Keinesfalls! Sicher, das Morden und Bomben hat ein Ende gefunden, aber diese Stadt und ihre Bewohner leben den Konflikt, die Spaltung, die Zerrüttung; bewusst, vielleicht auch einfach aus Gewohnheit – vielleicht inzwischen sogar gern, beinahe so, als sei er eine Touristenattraktion (…?).

Friedensmauer

Es gibt eine Friedensmauer, höher als die ehemalige in Berlin und sie erfüllt ihren Zweck, die Straßenfeindschaft der Konfliktparteien zu kanalisieren, recht ordentlich. Auf der einen Seite die Katholiken mit den Fahnen der Republik Irland und den Wandbildern von Märtyrern und Freiheitskämpfern aller Nationen, auf der anderen die Evangelischen, die kalvinistisch orangenen, die britisch königstreuen, die ohne ihren UnionJack im Garten und das Konterfei der Queen an der Wand nicht glücklich sind.

Tagsüber kommt man miteinander aus, aber abends ab 19:00 Uhr und an Sonntagen sind die Mauertore aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Friedensmauer – die andere Seite

Wir besuchen diese Mauer, fahren durch eines der Tore von einem zum anderen Stadtviertel, tauschen eine martialische Optik gegen die andere. Hören von der Stadtführerin, wie schlecht es den Katholiken früher ging und wie schlecht den Evangelischen heute. Man bleibt sich eben in alter Feindschaft abgeneigt. Plötzlich geht mir die liturgische Formel Der Friede des HERRN sei mit Euch! durch den Kopf und ebenso plötzlich drängt sich mir auf, dass hier das Euch immer die anderen kategorisch auszuschließen scheint.

Das Rathaus im Zentrum von Belfast

Spaziergang durch die City. Hier ist von Konflikt nicht allzu viel zu merken. Hier dominiert in der Mitte das ziemlich protzig ausgefallene Rathaus, umgeben von zum Teil altehrwürdigen Bauten im typisch englischen Baustil, ebenso wie von modernen Einkaufstempeln, internationalen Fast Food Ketten und Shopping Malls. Europa eben. Dazwischen, in den Seitenstraßen kleine Pubs, die nicht immer den äußeren Eindruck vermitteln, den man von ihnen innen erwarten möchte.

Ener der zahlreichen Pubs

Klein ist diese Mitte. So klein, wie die Gemeinsamkeiten. Zu Fuß sind wir in knapp 15 Minuten durch, stehen entweder in hässlichen Industrievierteln oder in uniformen Wohnstraßen. Hübsch, im Sinne unserer heimischen Stadt- oder Dorfgestaltung, wohnt man hier nicht. Ein Haus sieht aus, wie das des Nachbarn, die Grundstücke sind mit kleinen Mauern im Vorgarten und hohen Zäunen dahinter abgeteilt; man lebt Gleichförmigkeit und explizite Grenzen. Individualität bleibt vermutlich dem Inneren des Hauses vorbehalten.

Das Parlamentsgebäude vor der Stadt

Weit außerhalb der Stadt dann das 1932 fertig gestellte Parlamentsgebäude. Weit außerhalb deswegen, weil man auch hier auf eine gewisse Protzigkeit nicht verzichten wollte und in der Stadt selbst dafür ganze Stadtteile hätte roden müssen. 365 Fuß misst das Gebäude – einen Fuß für jeden Tag des Jahres. Und sechs Säulen stützen sein Eingangsportal – eine für jede Grafschaft der Provinz Ulster, die nach hiesigem Verständnis Nordirland ausmacht (in aller Bescheidenheit versteht sich, denn Ulster besteht aus neun Grafschaften – drei davon In der Republik Irland…).

Aber auch dieses Lokalparlament leidet unter dem stets präsenten Misstrauen der beteiligten Parteien, weshalb es fortwährende Parlamentsauflösungen gibt und bereits seit Jahren keine aktive Provinzregierung.

Der langsam einsetzende Nieselregen macht uns den Stadtbummel nicht angenehmer. Irgendwie bekommen wir kein richtiges Verhältnis zu dieser Provinzhauptstadt. Irgendwie drängt sich uns überall der Verdacht auf, hier habe jeder die Weisheit für sich gepachtet und trägt das geradezu zwanghaft zur Schau – vom Stadtplaner über Parlamentarier und klerikale Machthaber bis zum einfachen Ordens- oder Gemeindemitglied.

Der Friede des HERRN für ALLE in Nordirland, er wird wohl noch lange auf sich warten lassen..

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