In ein Land vor unserer Zeit

Freitag, die Dekadenz ist nicht aufzuhalten: Gestern haben wir unsere Kabine auf der Mein Schiff 3 bezogen. Jetzt schauen wir dabei zu, wie der Kapitän und seine Crew für uns und 2.504 Mitreisende auf der Nordsee Schweröl verbrennen. Heute wollen wir ein Liedlein singen … denn wir fahren, denn wir fahren gegen Engeland. Stimmt allerdings nicht ganz, denn unsere Reise geht nach Schottland und jeder Schotte nähme es uns zu recht übel, bezeichneten wir ihn als Engländer. Andererseits geht es nach Invergordon, einem der bedeutendsten Häfen der Königlichen Marine im WW1… Bitte stellen Sie heute Nacht Ihre Uhren eine Stunde zurück. Also los! Good bye Germany. Good bye Political Correctness!

Unsere Kabine

Invergordon. Wir kommen in friedlicher Absicht, bringen frisch gepresste Euronen ins Reich Ihrer Majestät – und in dieses 800 Seelen-Nest, das von Öltanks aus eben jener Zeit optisch dominiert wird und heute vom Abwracken alter Bohrinseln lebt. Wie rostige Perlen auf einer unsichtbaren Kette reihen sie sich im Cromarty Firth aneinander. Hier ganz in der Nähe lebt Nessie, Schottlands berühmtester Einwohner.

Zur Begrüßung der Gäste: Dudelsackpfeifen

Hier wickelten sich die übrigen Bewohner in bunt karierte Wolldecken, deren Farben die Familienzugehörigkeit anzeigte, die Zugehörigkeit zu einem Clan. Und es soll (ausgerechnet) ein Engländer gewesen sein, der ihnen den Rat gab, die Decke kurz über dem Knie abzuschneiden, um schneller laufen zu können und seltener zu stolpern.

Hier verkaufte der König einem Clanoberhaupt eine komplette Landschaft für ein Pfund unter der Bedingung, dass er zu jeder Tages- und Jahreszeit kommen und sich einen Schneeball holen könne – nicht ahnend, dass zu eben dieser Landschaft ein Berg gehört, dessen Nordflanke nie Sonne abbekommt.

In der Damlore-Destillerie

Hier kreiert der Chef einer Destillerie anlässlich seiner Pensionierung eine Komposition aus 12 Flaschen Whisky, die bei Harrod‘s für fast 1 Mio. Pfund angeboten wird – Versand natürlich nicht inbegriffen.

Nein, geizig sind die Menschen hier nicht, sie geben nur kein Geld aus. Funktioniert die Türklingel nicht, weist ein in edlem Holz gerahmtes Schild darauf hin, dass man deswegen laut und mehrfach an der Nachbartür klopfen möge – reparieren…?

Das Angebot in den Shops legt den Schluss nahe, die Einwohner könnten Selbstversorger sein. In der Kirche gibt es freies Internet – aber nur für Besatzungsmitglieder der Kreuzfahrtschiffe. Und nicht zuletzt leistet man sich ein geschlossenes Museum im Andenken an die große Zeit des WW1.

Caledonian Grafitti

Und nein, spleenig ist man auch nicht, nur eben ein wenig anders. Und wenn Invergordon schon sonst nichts zu bieten hat, malt man halt die Hauswände bunt an. Caledonian Grafitti…

Loch Ness und andere Ruinen

Nessie haben wir übrigens nicht gesehen und von der großartigen Szenerie der Highlands blieb angesichts des diesigen Hochnebels auch nicht allzu viel übrig. Aber in den Kleinigkeiten, in der gelebten Schrulligkeit und in der allerorts präsenten Vergangenheit lassen sich Ansätze erkennen, dass man hier weit entfernt vom europäischen Festland ist, dass man anders denkt. Warum sollte man dann nicht auch falsch herum in einen Keisverkehr fahren…

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